Frankreich:Im Korsett

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Ulrich Wickert: Frankreich muss man lieben, um es zu verstehen. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2017. 287 Seiten, 22 Euro. E-Book: 16,99 Euro. (Foto: N/A)

Ulrich Wickert versucht, dem deutschen Leser das Nachbarland zu erklären. Dabei tappt er in die Klischeefalle und kann nicht darlegen, warum man dieses Land "lieben" sollte.

Von Clemens Klünemann

Deutsche "Liebeserklärungen" an Frankreich gibt es en masse, und Deutsche, die ihren Landsleuten das Nachbarland erklären wollen, nicht weniger. Dass Ulrich Wickert unter ihnen zu den intimen Kennern des Landes gehört, steht außer Frage. Allerdings auch, dass er hier in den Ton verfällt, der die meisten deutschen Bücher über Frankreich prägt, nämlich den der Bewunderung für eine als geradezu monolithisch betrachtete "französische Kultur", mit der man anderen, zumal den eigenen Landsleuten, das leuchtende Beispiel eines Volkes selbstbewusster Individualisten ("Dass Franzosen Individualisten seien, ist nun wirklich kein Klischee") geben könne. Vor diesem Hintergrund lassen sich alle anderen Aussagen über den Franzosen umso leichter vermitteln, auch wenn bei ihnen nicht mehr so ganz klar ist, ob sie wirklich kein Klischee sind.

Es bleibt im Dunklen, warum man dieses Land lieben sollte. Dabei gäbe es Gründe genug

Wickert schreibt über den Niedergang der Intellektuellen, über die französische Küche und viel (vielleicht zu viel) über Emmanuel Macron. Das Thema "französische Frauen" darf nicht fehlen: So stellt er fest, der französische Mann zolle ihnen "Respekt, ohne weitere Hintergedanken", während "der Deutsche nur zielgerichtet denkt: Wie kriege ich die Frau ins Bett. Er muss ja Leistung bringen." Die deutschen Frauen, so wird dem Leser hier klar, sehnen sich womöglich nach einem so einfühlsamen Troubadour wie Dominique Strauss-Kahn. Und wenn Wickert betont, dass "die Franzosen keinen Staatspräsidenten wählen würden, der nicht über eine geschliffene Sprache sowie eine historische und kulturelle Bildung verfügt", fragt man sich, wie die Präsidentschaften Jacques Chiracs und Nicolas Sarkozys so schnell in Vergessenheit geraten konnten.

Die Falle des Klischees schnappt bei Büchern über Frankreich, gerade mit einem solchen Titel, sehr schnell zu. Das war ähnlich bei dem bisher wirkmächtigsten Frankreich-Buch eines Deutschen, nämlich Friedrich Sieburgs "Gott in Frankreich?" von 1929. Dass es auch anders geht, hat Peter Scholl-Latour gezeigt und - in leiseren Tönen - Karl-Heinz Götze mit "Süßes Frankreich?" Dabei ist das, was Wickert über französische Eigenheiten schreibt (Götze sprach seinerzeit von "Mythen des französischen Alltags"), durchaus einleuchtend und gar nicht so schwer zu verstehen, wie es der einem Tucholsky-Zitat entlehnte Titel des Buches suggeriert - was mitunter daran liegt, das Entscheidendes weggelassen wird. So gibt es in der Tat einen c atholicisme zombie, mit dem Wickert in Anlehnung an Emmanuel Todd die katholisch-konservativen bis reaktionären französischen Integristen meint. Daneben, ja vor allem darüber hinaus spielt die katholische Kirche in Frankreich indes durchaus eine Rolle, und zwar eine progressive, denkt man nur an ihre Positionen während des vergangenen Wahlkampfs oder - historisch - an einige (zugegebenerweise nicht alle) französische Bischöfe, die während der deutschen Besatzung ihre Ablehnung des Antisemitismus deutlich zeigten - deutlicher als mancher, der später sozialistischer Präsident wurde und von Wickert als Lichtgestalt gepriesen wird.

Wickerts zweifellos interessante Blicke auf Frankreich, die durch seine Vernetzung mit Tout Paris an Tiefenschärfe gewinnen, lassen letztlich im Dunkeln, weshalb man dieses Land lieben sollte. Dabei gibt es unzählige Gründe, im besten Sinne des Wortes begeistert zu sein: Denn mehr als jedes andere Land zeigt Frankreich dem östlichen Nachbarn das andere seiner selbst, und der deutsche Blick auf Frankreich - dieses Land, mit dem einen so vieles verbindet und von dem einen noch mehr trennt - kann die Relativität jedes national geprägten Selbstverständnisses vor Augen führen. Dass und warum viele Franzosen dies mit Blick auf ihre Nachbarn inzwischen ähnlich sehen, davon ist in Wickerts Buch nichts zu lesen - schade!

© SZ vom 10.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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