Frankfurt und Frankreich:Fluchtpunkt Paris

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Französisches Flair in Frankfurt: Die Nizza-Promenade um 1900. (Foto: OH)

Künstler und Literaten aus der Stadt am Main ließen sich immer schon vom Nachbarland inspirieren - allen voran der Maler Max Beckmann, dessen Werk an die Seite von Henri Matisse, Pablo Picasso und Fernand Léger gehört.

Von Volker Breidecker

"Habt Ihr in Frankfurt auch solches Wetter, von Zucker, Milch und Rosen ...? Es ist nicht möglich", schreibt der Frankfurter Ludwig Börne im Februar 1831 in einem seiner "Briefe aus Paris" und fährt fort: "Ihr habt trübe deutsche Bundestage, manchmal einen kühlen blauen Himmel, von finstern Wolken halb wegzensiert - und das ist alles. Aber wir Götter in Paris - es ist nicht zu beschreiben. Es ist ein Himmel wie im Himmel. Die Luft küsst alle Menschen ..." Die als "Frankfurterei" noch von Bismarck geschmähte freiheitsliebende und frankophile Gesinnung der Bürger der vormals Freien Reichsstadt hatte ihren Fluchtpunkt in Paris: "Die ganze Stadt ist ein Protest gegen Hindenburg, Preußen, Stiefel", meldete noch im Mai 1925 Joseph Roth - damals Pariser Korrespondent der Frankfurter Zeitung - seinem Feuilletonchef Benno Reifenberg.

Den Kriegsausbruch 1914 hatte ein künftig Wahlfrankfurter Maler - Max Beckmann - mit dem Satz kommentiert: "Auf die Franzosen schieße ich nicht, von denen habe ich so viel gelernt." Damit scherte einer aus den Reihen seiner kriegsbegeisterten Generation aus, aber auch aus dem Feld des "deutschen Expressionismus", dem sein Werk noch häufig zugerechnet wird. Nicht neben George Grosz, Otto Dix und Emil Nolde gehört Beckmann, sondern an die Seite von Henri Matisse, Pablo Picasso und Fernand Léger.

Nach Paris, Weimar, Florenz und Berlin wurde Beckmanns nächste Station Frankfurt. Dort fand der kriegstraumatisierte Sanitätssoldat 1915 zunächst Obdach und bald darauf ein Netzwerk von Mäzenen, Freunden und Förderern, Galeristen, Museumsleuten und Publizisten: allen voran die angesehene, liberale Frankfurter Zeitung, deren Gründer, der jüdische Bankier und demokratische Politiker Leopold Sonnemann als Reichstagsabgeordneter und Opponent von Bismarcks Großmachtpolitik für einen friedlichen Ausgleich mit dem Nachbarland Frankreich geworben hatte. Als Mäzen und Gründer des Städelschen Museumsvereins brach Sonnemann im Jahr 1900 auch eine kunstpolitische Schneise, indem er den Ankauf eines umstrittenen Hauptwerks des Berliner Sezessionisten Max Liebermann betrieb. Von Kaiser Wilhelm II. war Liebermann als Vertreter französischer "Rinnsteinkunst" geschmäht worden.

Sonnemanns Nachfolger an der Zeitungsspitze - der Neffe Heinrich Simon - und eine ganze Riege von Autoren im Feuilleton setzten in den Zwanzigerjahren auf den Maler Max Beckmann: Neben Simon selbst, der Beckmann im hauseigenen Verlag eine erste Monografie widmete, ließ sich Benno Reifenberg keine Gelegenheit entgehen, über Beckmann und seine Kunst zu schreiben. Unterstützung fand er in seinem Mentor, dem Kunstschriftsteller Julius Meier-Graefe, und in beider Intimus Wilhelm Hausenstein. Letzterer sollte in der zweiten Nachkriegszeit erster deutscher Botschafter in Paris werden und gemeinsam mit Reifenberg die "Max Beckmann Gesellschaft" ins Leben rufen. Beckmann selbst übersiedelte 1929 für drei Jahre ganz nach Paris. Von dort pendelte er regelmäßig nach Frankfurt, um an der Städelschule seinen Lehrpflichten nachzukommen. In Paris endlich wurde Beckmann 1931 eine große Werkschau in der Galerie de la Renaissance zuteil.

Neben dem Feuilleton der Frankfurter Zeitung war ein weiteres Standbein des Malers das Städel-Museum unter der Leitung von Georg Swarzenski. Als dieser sein Amt 1906 antrat, verfügte das Museum mit Werken von Eugène Delacroix, Gustave Courbet, Edouard Manet und Claude Monet bereits über eine stattliche Sammlung französischer Malerei des 19. Jahrhunderts. Unter Swarzenski hielt die Moderne Einzug im Städel: Eine Schlüsselstellung nahm 1912 der Erwerb von Van Goghs "Bildnis des Dr. Gachet" ein. Weiteren Ankäufen von Werken der postimpressionistischen Malerei waren damit die Tore geöffnet. Noch mitten im Ersten Weltkrieg stiftete der jüdische Sammler Rudolf von Hirsch dem Städel das Stilleben "Fleurs et céramiques" von Matisse. Was Van Goghs "Dr. Gachet" für die Städelsammlung bedeutete, wurde erneut deutlich, als das seit 1933 vor dem Zugriff der Nazis versteckte Gemälde 1937 beschlagnahmt und nach Berlin verfrachtet wurde. Unter der Überschrift "Dr. Gachet" erschien ein anonym gezeichneter Leitartikel in der Frankfurter Zeitung vom 9. Dezember 1937: Das Gesicht des melancholischen Arztes aus der französischen Provence, hieß es, habe "den schmerzlichen Ausdruck unserer Zeit". Swarzenski, der aus seinem Amt bereits vertrieben worden war, und Reifenberg, tatsächlich der Autor, wurden noch am selben Tag vorübergehend inhaftiert und von der Gestapo verhört.

Die Scharnierfunktion dieses Gemäldes für eine Sammlung, die alte und neue Kunst in Beziehung setzte, fand in Werken Beckmanns eine fundamentale Erweiterung: Insgesamt 13 seiner Gemälde erwarb das Städel frisch von der Staffelei. Noch die zehn großen, in den Dreißiger- und Vierzigerjahren entstandenen Triptychen sind undenkbar ohne die vorausgegangene Auseinandersetzung des Künstlers mit den im Städel versammelten älteren Werken. Entsprechendes gilt für die konstante Auseinandersetzung mit den französischen Neuerern. Noch im April 1939 setzte der nach Amsterdam geflohene Künstler alle Hoffnungen auf Paris und schrieb dem Freund Stephan Lackner nach New York: "Ich werde also sicher nach Paris gehen und eine neue ganz intensive Kraft hier entwickeln können, nachdem mich la France in ihre mütterlichen Arme genommen hat." Es kam anders. In einem seiner letzten, in New York verbrachten Lebensjahre schrieb Beckmann nach einem Besuch des Museum of Modern Art an seine erste Frau Minna Tube: " ... im Modern Art Museum haben sie mein großes Stilllife neben Picasso und Léger gehängt. Was will man mehr ..."

© SZ vom 13.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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