Fotoserie "Die Gläubigen":"Ich will nicht bestreiten, dass es Zombies gibt"

Martin Schoeller fotografiert religiöse Menschen in New York - im März waren das ein Rastafari und eine Hohepriesterin des haitianischen Vodou.

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(Foto: Martin Schoeller)

New York ist der Ort mit der größten Zahl unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften. Der Fotograf Martin Schoeller porträtiert in seiner Feuilleton-Kolumne jeden Freitag einen gläubigen Menschen aus dieser Stadt. Hier finden Sie seine Werke monatlich gesammelt.​ Robert Zuben Ornelas. Medicine Wheel Ich bin ohne Glauben aufgewachsen. Meine Eltern litten noch unter den schweren Traumata der Kolonisierung. Ich musste dann auf eine katholische Schule gehen, aber das war für mich immer nur ein Glaubenssystem, kein Glaube. Das hatte für mich alles nichts mit dem Schöpfer zu tun. Mich hat das alles sehr verwirrt. Ich wollte eigentlich sehr fromm sein, aber dann predigten sie das eine und lebten das andere. Sie predigten den Frieden in der Schule und prügelten sich auf dem Parkplatz. Unser Priester wurde wegen Kindesmissbrauch verhaftet. All so was. Das Einzige, was ich verstand, war, dass das immer Menschen waren, die das taten, nicht Gott. Ich selbst lebte ja auch in verschiedenen Zuständen der Kolonisierung. Ich bin in South Central Los Angeles aufgewachsen. Da gerät man in die Gangs, und ich wusste, dass mich die Gangs irgendwann umbringen. Also bin ich raus aus der Gang. Das war eine sehr in sich geschlossene Welt. Ein Freund nahm mich damals mit an den Strand. Da sah ich das erste weiße Mädchen in meinem Leben. Weiße Mädchen kannte ich nur aus dem Fernsehen. Als ich ungefähr zwanzig war, schloss ich mich dem American Indian Movement an (der Bürgerrechtsbewegung amerikanischer Ureinwohner, Anm. d. Red.). Aber die waren zu dem Zeitpunkt schon zutiefst korrupt, das FBI hatte den Laden unterwandert, es gab ziemlich viele Intrigen und Machtkämpfe. Dann ging es mir wie so vielen Menschen ohne Richtung und Glauben. Ich wurde Alkoholiker. Das ist für unser Volk kein natürlicher Weg, auch wenn er irgendwie für uns normalisiert wurde. Aber es war leicht, weil jedes Mal, wenn ich richtig betrunken war, war das wie ein spirituelles Erlebnis. Das brachte mich zu einem Punkt, an dem es meine Kerze fast ausgeblasen hätte. Lustigerweise hatte ich aber weniger Angst vor dem Sterben, als mich zu blamieren. Ich hatte immer Angst, dass sie meine Tür eintreten, weil es so stinkt. Eines Nachts bat ich Gott dann um Hilfe. Ich hatte das Wort Gott seit Jahren nicht benutzt. Aber in der Nacht konnte ich erstmals wieder schlafen. Ich bin dann sofort zum Arzt. Der hat mich erst mal an den Tropf gehängt. So schlimm stand es schon um mich. Ich habe dann zu den Anonymen Alkoholikern gefunden. Die wurden mein erster Stamm. Die haben mein Leben gerettet. Ich habe deren Lehren dann zu meinem Volk gebracht. Und die Ältesten haben gesagt, ja, wenn du deinen Leuten so helfen kannst. AA hat zwölf Schritte, unser Medizinrad zwölf Speichen. Warum bringst du das nicht zu uns. So fand ich zum Medicine Wheel, mit dem sich fast alle amerikanischen Ureinwohner identifizieren können. Wir haben keinen festen Gottesdienst, aber es gibt die Segnung, den Sonnentanz, das Gebet. Das hat eine unfassbare Kraft. Bei den Protesten gegen die Dakota-Pipeline in Standing Rock gab es nur keine Toten, weil Tausende hinter den Protestierenden für sie beteten. Und Tote hätte es fast gegeben.

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(Foto: Martin Schoeller)

Manbo Dowoti Desir, Haitianischer Vodou Ich bin römisch-katholisch erzogen worden, mein Vater war Trotzkist. Dann war ich lange Atheistin, aber ich hatte immer wieder Träume von einem Wissen, das mir niemand je vermittelt hatte, also nahm ich mit anderen Gläubigen afrikanischer Religionen Kontakt auf. Inzwischen bin ich eine Mambo Asogwe, eine Hohepriesterin des haitianischen Vodou, die einzige in New York, die Trauungen vornehmen darf. Die Schreibweise ist wichtig. "Voodoo" wird assoziiert mit Rassismus, Angst, schrecklichen Riten. Hollywood hat Filme über Zombies gedreht und über Menschen, die Tiere opfern. Ich will nicht bestreiten, dass es Zombies gibt. Aber vieles andere sind bizarre Unterstellungen, die andere mir immer wieder vorhalten. Deshalb bin ich inzwischen furchtlos, ich fordere andere geradezu heraus, mich auf meinen Glauben anzusprechen, mir meine Menschlichkeit abzusprechen. Dazu hat mich mein Glaube gebracht. Unsere Religion ist sehr naturverbunden. Wir haben Tempel, aber oft gehe ich auch zu einem Fluss oder in den Wald, um zu beten. Oft singen wir, tanzen, es gibt heilige Künste, oder wir sprechen zu Gott, Bon Dieu, und den Lwa, den spirituellen Kräften, die unser Leben bestimmen. Mein Glaube bedeutet, dass ich zuerst an andere denken muss, dass ich mich in einem Bund mit jenen befinde, die vor mir da waren, und mit jenen, die nach mir kommen. Für uns gibt es zwar ein Leben nach dem Tod, aber kein Konzept von Himmel oder Hölle, sondern nur eine ständige Wiederkehr. Der mystische Ort des Übergangs von einem Leben zum nächsten heißt bei uns "Ginen", es ist unsere 500 Jahre alte Vision von Afrika, unsere Heimat.

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(Foto: Martin Schoeller)

Abbot Abdia. Rastafari Viele Menschen brauchen einige Zeit und gehen durch einige Verwirrungen, bis sie ihren wahren Glauben finden. Ich hatte Glück. Mein Vater und meine Mutter waren beide Rastafari. Nachdem ich nun nicht in Jamaika lebe, wo der Hauptsitz unserer Kirche ist, sondern in Brooklyn, gehe ich in die Church of Haile Selassie an der Gates Avenue in Bedford Stuyvesant, die wir Ba Beta Kristiyan Haile Selassie I nennen. So heißt sie in der altäthiopischen Sprache. Haile Selassie I. ist unser Erlöser - so wie Jesus für Christen oder Allah für Moslems. Jeden Sonntag treffen wir uns dort zum Gottesdienst, weil Haile Selassie am Sonntag den 2. November 1930 zum Kaiser gekrönt wurde. So steht es zumindest in der Geschichte. Für uns ist er an diesem Tage zum Gott aufgestiegen. In unserem Tempel beginnen wir gegen elf und feiern bis gegen halb zwei. Während der ganzen Zeit hört man uns dabei Skandieren. Das ist eine uralte Form des Gottesdienstes, die aus der Zeit Moses stammt, wenn sie nicht noch älter ist. Wir benutzen auch heilige Schriften. Hier in New York ist es die King-James-Bibel, denn der Kaiser sagte einst, dass die älteste Fassung der Bibel aus Äthiopien stammt. Aber ganz egal, wie alt die Bibel ist, die Worte bleiben ja die gleichen. Unsere wahre Leitlinie sind aber weniger heilige Texte als die Geschichte. Unser Glaube gebot uns ursprünglich, die Dynastie unseres Herrschers in Äthiopien wieder herzustellen, denn momentan gibt es keinen Thron in Äthiopien, keine konstitutionelle Monarchie. Das Land wird von Diktatoren beherrscht. Wir sagen aber auch, liebe die Gerechtigkeit, hasse die Aggression. So lehrte es unser Kaiser. Unser erstes Ziel ist es also, uns zu organisieren, um Einheit zu erreichen. Wir wollen auch politischer werden. Allerdings sagt unser Glaube, dass wir keine religiöse Diktatur errichten sollen und dass wir keine Extremisten werden dürfen, denn die Liebe ist das Allerheiligste. Das steht auch in der Bibel. Und streng genommen ist ja auch die Bibel nicht nur heilige Schrift, sondern Geschichte.

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(Foto: Martin Schoeller)

Kelly Murphy Mason. Unitarismus Für uns ist die Offenbarung ein permanenter Vorgang. Wir sehen das in vielen Reformbewegungen, dass die Menschen keinen Punkt setzen, wo Gott nur ein Komma wollte. Deswegen haben wir auch keine strikte Theologie, sondern nur allgemeine Richtlinien, die uns in eine Richtung lenken. Wir lesen hebräische Schriften, die Bibel, transzendentale Texte von Ralph Waldo Emerson und Henry David Toreau, aber auch Walt Whitman. Prinzipiell glauben wir daran, dass die Dinge besser werden. Aber ich will nicht naiv klingen. Was in unserer konfessionellen Arbeit wichtig ist, sind Bewegungen wie Black Lives Matter, die Konfrontation mit systemischem Rassismus, wirtschaftliche Ungerechtigkeit, das Selbstbestimmungsrecht von Frauen oder Klimawandel. Dafür verbinden wir Glauben mit Vernunft und Wissenschaft.

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