Fotografie:Sein und Vergehen

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"Poesie der Blumen" und "Lesen & Schreiben": Zwei Liebeserklärungen von Isolde Ohlbaum in Buchform

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

"Was tut wohl die Rose zur Winterzeit?/ Sie träumt einen hellroten Traum." Auch Mascha Kalékos berühmtes Gedicht "Was die Rose im Winter tut" findet sich neben vielen anderen von Goethe, Heine, Paul Celan oder Rilke in diesem kiloschweren Band "Poesie der Blumen", den die in München lebende Fotografin Isolde Ohlbaum tatsächlich wie ein großes Poesiealbum angelegt hat. In Rosa schwelgt der Karton-Einband, in den vollen Blüten einer Pfingstrose, die den Stempel und die Staubgefäße hinter einem Fächer köstlicher Blütenblätter ebenso unvollkommen ummanteln wie eine Viktorianische Fransendecke ein Lotterbett. Man schaut in die Blüten und ruft sich deren Duft ins Gedächtnis. Solche Pfingstrosen locken ihre surrenden Freier mit einer Süße, welche die Vergänglichkeit bereits in sich trägt.

Ohlbaum sucht mit ihrer Kamera den Moment vollkommener Schönheit, wie sie sich kurz vor dem Vergehen entfaltet, und dabei die verführerischen Abgründe der Blumen. Die Schönheit ihrer Blumenbilder hat viele Facetten, aber jener unwiderstehliche Augenblick, bevor der Schleier der Maja sich lüftet, der bleibt rar. Es sind eben jene Aufnahmen, die vor dem menschlichen Auge erst einmal verbergen, wohin die Insekten streben, um selbst noch der kurzlebigsten Blume ein Stück Ewigkeit zu sichern. Welche zieht den Blick mehr an, die purpurne Papageientulpe, deren Blütenblätter ihr Geheimnis umtanzen wie die rauschenden Rüschen eines Flamenco-Rocks? Oder jene, deren Blütenkelch sich samt den schwarzen Staubfäden unverblümt dem Betrachter entgegenreckt?

Isolde Ohlbaum hat, seit sie 1986 ein Buch über den Alten Nordfriedhof in München mit dem Titel "Gewesen, nicht vergessen" veröffentlichte, immer wieder Bücher zusammengestellt, die ihr gestatten, was ihr das Tagesgeschäft sonst verwehrt: die lange Strecke, das Abweichen, die Fülle. Ohlbaum fotografiert seit Jahrzehnten Schriftstellerinnen und mit der Literatur Befasste. Sie gilt als die Chronistin vor allem des deutschsprachigen literarischen Lebens. Insofern ist ihr neuestes Buch ''Lesen & schreiben" - Eine Liebeserklärung an die Welt der Bücher" (ebenfalls erschienen bei Ars Vivendi) viel näher dran an ihrem beruflichen Alltag. "Ein Buch! Damit man endlich etwas hat, womit man gegen die Pforten der Unsterblichkeit hauen kann!", jubelt Eva Demski in Ohlbaums jüngstem Band und schlägt damit ebenso ironisch wie treffsicher eine Bresche in die vielfach verquasten Satzschlingen, mit denen vor allen Männer unter den Porträtierten in beigestellten Statements den Akt des Lesens und Schreibens einzufangen und dabei zu verklären suchen. Demski, unter anderem Autorin eines Katzen- und eines Gartenbuches und zumindest darin Isolde Ohlbaum nahe, sitzt auf einem Korbstuhl in einem wildwuchernden Garten, während sie, sibyllinisch lächelnd, in einem Buche liest. Tilman Spengler hat sich lesend auf einer Gartenbank zwischen wildem Wein und Haselnussstrauch verkrochen. Man könnte meinen, Isolde Ohlbaum suchte für ihre Schreibenden und Lesenden das Idyll - und sei es das daheim vor reich bestückten Bücherwänden, an meist übervollen Schreibtischen. Angesichts solcher Überfülle wirkt er reinigend, der kahle Raum mit seinem übergroßen Ausziehtisch, an dem Margaret Atwood aufrecht bei offener Tür und offenem Fenster in eine dicke Schreibmaschine tippt.

Gewiss doch, auf manchen Fotos finden sich Laptops, aber Ohlbaums Liebeserklärung richtet sich ans getippte und gedruckte Wort auf Papier. "Lesen & Schreiben" handelt auch vom Vergehen der Zeit. Der junge Peter Handke, der einst das Publikum beschimpfte, steht hinter Ilse Aichinger und begegnet einem etliche Seiten weiter als alter Mann. Auf Isolde Ohlbaums Bildern leben die fort, deren große Zeit in die analoge fiel. Die Fotografin selbst integriert handwerklich das Analoge wie das Digitale - farbig, aber auch immer noch schwarz-weiß - wie zu der Zeit, als sie lernte und gute Porträts nicht bunt sein durften.

© SZ vom 02.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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