Forschung:Wein und Wissenschaft

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Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften verabschiedete am Leibniz-Tag ihren Präsidenten Günter Stock. Die Festrede hielt Angela Merkel, die bei aller Freude auch realistische Worte fand.

Von Stephan Speicher

Bemerkenswert, wie groß das öffentliche Interesse am Leibniz-Tag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ist. Das Konzerthaus mit seinen 1600 Plätzen war am Samstag ausgebucht, was gewiss auch, aber nicht nur damit zu tun hatte, dass die Kanzlerin die Festrede hielt. Die Akademie hat die Aufgabe, ein Ort des öffentlichen Gesprächs zu sein, und diese hat sie in den letzten Jahren mit großem Erfolg wahrgenommen. Ihre Veranstaltungen sind gut besucht, und auch die anschließenden Unterhaltungen lassen den Besucher belehrt nach Hause gehen. Es gibt eine Reihe von Veranstaltungen für Schüler, und selbst wenn sie gelegentlich deren Horizont überschreiten, so ist das nicht unbedingt ein Fehler. In der dosierten Überforderung liegt immer auch die Verheißung einer großen Sache. So hat die Akademie in Berlin Anhänger über den Kreis der beruflich Geforderten.

Das kann nicht allein das Verdienst der Spitze sein, aber es geht natürlich auch nicht ohne sie. Der scheidende Präsident Günter Stock hatte eine glückliche Hand, die Akademie und eine interessierte Öffentlichkeit zusammenzubringen. Er selbst ist Mediziner, war Forschungsvorstand der Schering AG, hat sich aber in der Akademie für die geisteswissenschaftlichen Vorhaben eingesetzt. Und sofern die Akademie selbst Forschung betreibt, geht es vor allem darum. Gerade ist das Unternehmen "Berliner Klassik" abgeschlossen worden, alte Großprojekte laufen weiter, wie die Marx-Engels-Gesamtausgabe oder die Corpora der griechischen und lateinischen Inschriften. Dazu sind neue Fragen aufgeworfen worden wie beispielsweise die nach den jüdischen, christlichen und altarabischen Bezügen des Korans im "Corpus Coranicum".

"Wir sind nicht die Besten. Man erlebt, dass auch andere stark zulegen"

In seiner Begrüßung hob Stock die gesellschaftswissenschaftlichen Anstrengungen hervor, Untersuchungen zum Geburtenschwund etwa. Die Akademie wolle in solchen Fragen die angestoßenen Bemühungen bündeln und ein "Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung" schaffen. Günter Stock wurde mit starkem Beifall verabschiedet; dass Angela Merkel die Festrede hielt, war gewiss auch eine Huldigung an ihn persönlich. Merkel sprach über das Verhältnis von Politik und Wissenschaftsförderung, bekannte sich, Herder zitierend, zur Zurückhaltung der Staatsgewalt: "Die Regierung, unter der allein Natur, rechtes Maß und Verhältnis stattfinden, ist Freiheit." Sie lobte die Wissenschaftspolitik des Bundes und die Fortschritte der Berliner Wissenschaft. Sie goss aber auch Essig in den Wein. Sie wiederholte das Ziel von Staat und Wirtschaft, drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Wissenschaft auszugeben: "Allerdings sind wir nicht die Besten, und man erlebt, dass andere auch sehr stark zulegen." Zu solchem Realismus fand die Berliner Senatorin Cornelia Yzer in ihrem Grußwort nicht. Neuer Präsident der Akademie ist Martin Grötschel, Mathematiker an der TU Berlin.

Seine Ansprache, kurz, pointiert, gut gelaunt, weckte die schönsten Hoffnungen für den Fortgang der Akademiepolitik, zumindest was das Verhältnis zur Öffentlichkeit anlangt. Selbst wer nicht in der Geschichte der Mathematik zu Hause ist, hörte mit Vergnügen von der Abfolge seiner akademischen Lehrer, zu der Namen wie Felix Klein, Hermann Minkowski, Leonhard Euler und Gottfried Wilhelm Leibniz gehören. Man lernte, wie die Netzwerktheorie entstand: durch Euler, aufgrund der launigen Frage eines Briefpartners, ob es in Königsberg einen Rundweg gebe, der einmal und nur einmal über alle Pregel-Brücken führe.

Und zuletzt erfuhr das Publikum, wie es gelang, das Sekretariat der International Mathematical Union dauerhaft in Berlin zu installieren. Grötschel nämlich konnte zugunsten der deutschen Bewerbung ein Foto zeigen aus Teterow (Landkreis Rostock) von den Teilnehmern der 3. Runde der nationalen Mathematik-Olympiade 1971. Dabei, schon mit der bekannten Handhaltung, Angela Kasner, spätere Merkel. Begeisterung herrschte in der International Mathematical Union über ein Land, dessen Regierungschefin mathematisches Interesse zeigt, Begeisterung oder doch Vergnügen auch im großen Saal des Konzerthauses.

© SZ vom 09.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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