Flucht-Thriller:An der Grauzonengrenze

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Zwei Teenager, ein Amoklauf an der Schule, eine Mutter erledigt die beiden ... Sie war bei der CIA, ist eine Whistleblowerin, musste untertauchen. Nun ist sie wieder im Fokus der Feinde. James Rayburn ist ein Pseudonym für Roger Smith, der mit Südafrika-Thrillern erfolgreich war.

Von Bernd Graff

James Rayburn: Sie werden dich finden. Thriller. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Tropen Verlag, Stuttgart 2017. 400 Seiten, 14,95 Euro. E-Book 11,99 Euro. (Foto: v)

Der Thriller ist noch keine drei Sätze alt, da ist der Hauptfigur bereits klar, "dass es vorbei ist". Vorbei ist das Leben als alleinerziehende Hockey-Mom mit Souvenirlädchen in einer beschaulichen Kleinstadt in Vermont, an der Grenze der USA zu Kanada. Denn als Kate Swift ihre Tochter Suzie zur Schule bringt, wird sie Zeugin eines Amoklaufs, eines Highschool-Massakers, das zwei schwer bewaffnete Teenager gerade verüben, den Hausmeister und eine Lehrerin haben sie schon erschossen.

Nun war Kate aber eben nicht immer die sanfte Hockey-Mom, für die sie gehalten werden will. Sie war bis vor Kurzem eine Spezialagentin der CIA, die sich im bewaffneten Feldeinsatz, in den schmutzigsten Kriegen, bewährt hatte. Doch dann brachte sie die skrupellosen Machenschaften ihres Vorgesetzten an die Öffentlichkeit. Er hatte einen illegalen Drohneneinsatz in Pakistan angeordnet, bei dem kam auch Kates Mann um. Zwei Jahre ist das alles her, Kates Enthüllungen wirbelten viel Staub auf, ein paar Köpfe rollten, die Undercover-Einheit wurde aufgelöst. Außerdem verschafften sie der Whistleblowerin den heiligen Zorn und Rachedurst ihres nun Ex-Vorgesetzten. Darum gab sie sich die neue Identität als unauffällige Kleingeschäftsfrau und Mutter in der Provinz. Doch als das Schul-Massaker losgeht, greift die auf Ausnahmesituationen trainierte Ex-Agentin natürlich heroisch ein, was ebenso natürlich dazu führt, dass sämtliche Medien über die neue Heldin berichten und ihre sorgfältige Tarnung sofort auffliegt. Also packt sie Suzie und flieht. Erst einmal nach Kanada.

Ein Plot aus dem Giftschrank von Verschwörungstheoretikern, kein Adjektiv zu viel

James Rayburn, ein Alias für den 1960 in Johannesburg geborenen Roger Smith, baut seinen Thriller "Sie werden dich finden" nach diesem Exposé konsequent auf: Alles ergibt sich zwingend aus der Initial-Enttarnung und der anschließenden Flucht, die Kate allerdings immer schon für den Fall der Fälle minutiös vorbereitet hatte. Es wird dann eine Hetzjagd um den ganzen Globus, eine Tour de Force auch durch die Jahreszeiten, den schneidenden Winter auf der Nordhalbkugel - klirrender Frost in Kanada und Schmuddelwetter in Berlin -, drückende Hitze in den Tropen Thailands und trostlose Dürre an der syrischen Grenze.

Rayburn, der als Smith einige harte Südafrika-Thriller schrieb, als Drehbuchautor und Regisseur arbeitet, unter einem zweiten Alias als Max Wilde Horrornovellen schreibt, hat auch diesen Thriller wie einen Episodenplot angelegt, 90 Kapitel hat er, kaum eines länger als vier Seiten. So entfaltet sich eine so brutale wie hart geschnittene Noir-Story, in der gefoltert, enthauptet, erschossen und abgestürzt wird: Das gilt für Flugzeuge ebenso wie für die Protagonisten, viele von ihnen vegetieren im Suff des Vergessens. Es ist, als habe Rayburn einen heiteren James-Bond-Plot in pechschwarze Düsternis getaucht: Eiskalte Agenten ziehen mal mit, mal ohne Auftrag ihr Ding durch, versuchen auf der blutigen Nachtschattenseite ihres ohnehin sinistren Metiers den Überblick und die Oberhand zu behalten - und dabei bloß nicht den Medien aufzufallen.

Natürlich wirken Rayburns Protagonisten in dieser Überzeichnung wie nach Schablonen gestanzt: die unersättliche Nymphomanin aus dem ehemaligen Jugoslawien wird als zigfaches Vergewaltigungsopfer vorgestellt, das nun keine Skrupel mehr kennt, der finstere Ex-Chef der Spezialeinheit ist ein gefährlicher Sadist, der alle Register zu ziehen versteht - und zieht. Der einst charmant-mondäne Superagent ist zum depressiven Wrack geworden, das sich um den Verstand säuft, der tumbe Politblogger lässt sich vor jeden Karren spannen, solange er wegen einer Story im Scheinwerferlicht stehen kann. Alle verfolgen ihre persönliche Agenda, und alle sind bereit, dafür bis zum Äußersten zu gehen. Das macht die Story geradezu aberwitzig rasant. Und Rayburn erzählt diesen Plot aus dem Giftschrank von Verschwörungstheoretikern mit keinem Adjektiv zu viel, cool und abgeklärt.

Katie fahndet dann, während sie mit der Tochter auf der Flucht ist, nach Ex-Kollegen, denen sie noch trauen zu können meint. Hier wirft der Stoff ein paar überraschende Falten, und Rayburns Raffinesse bietet ein paar ausgeklügelte Twists im Plot an. Nur eines ist klar: Den offiziellen Institutionen von Politik und Justiz traut hier niemand mehr. "Politik", so ein einleitendes Orwell-Zitat, "will dem reinen Wind den Anschein von Solidität verleihen." Auch darum hat man sich in einem Zwischenreich, auf der Grauzonengrenze, eingerichtet: "Mir ging es immer um das Uneindeutige", gesteht das Superbrain: "Wo Gewissheiten bröckeln, wo Menschen umgedreht und gekauft und korrumpiert werden können. - Und warum hast du es gemacht? - Genau wie bei dir: Weil ich gut darin war."

© SZ vom 04.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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