Finnische Literatur:Eisbrocken-Lotterie

Lesezeit: 2 min

Die finnische Autorin Selja Ahava erzählt in ihrem Roman "Dinge, die vom Himmel fallen" von den Launen des Zufalls. Ratlos stehen ihre Figuren vor den Rätseln, die ihnen ihr Leben aufgibt. Zum Glück bleiben sie ungelöst.

Von Franziska Wolffheim

Hannele, Saaras Mutter, ist so etwas wie eine Unvollendete. Eine Frau, die mit ihrer Familie fest verwoben ist und im Sommer große Mengen Erdbeeren einfriert, weil Vorräte Zukunft bedeuten. Die mit ihrem Mann Pekka andauernd das "Sägemehlhaus", in dem die Familie lebt, renovieren muss, weil es aus allen Fugen rieselt. Doch dann verschwindet Hannele plötzlich aus der Welt, auf völlig aberwitzige Weise. Mitten im Sommer stürzt ein großer Eisbrocken vom Himmel herab und begräbt sie unter sich. Die Tochter wünscht sich, die Mutter hätte ihr eine Botschaft hinterlassen, einen versteckten Brief, ein Puzzle aus markanten Sätzen, die Hannele in einem Buch unterstrichen hat. Eine Erklärung für diesen vollkommen absurden Tod. Die Zeit heilt alle Wunden? Die achtjährige Saara sieht das nicht so und möchte es auch nicht so sehen, damit ihr möglichst viel von der Mutter bleibt.

Die Finnin Selja Ahava, Jahrgang 1974, hat einen Roman über all die Dinge geschrieben, die es eigentlich nicht gibt. Auch Saaras Tante Annu macht eine verblüffende Erfahrung: Sie gewinnt nicht nur einmal, sondern noch ein zweites Mal im Lotto, nicht irgendein Sümmchen, sondern den Jackpot. Beim zweiten Mal fällt Annu in einen ungläubigen Dornröschenschlaf, aus dem sie erst nach drei Wochen erwacht. Danach nimmt sie Kontakt zu einem im Fernsehen gezeigten schottischen Fischer auf, der viermal vom Blitz getroffen wurde. In einem Briefwechsel tauschen sich die beiden über die Launen des Schicksals aus. "Herr MacKay, ist es Ihnen gelungen, sich zu erklären, was Sie am Leben hält?" Die Normalität, das wissen beide, ist ein kostbares Gut.

Saaras Mutter war eine große Märchenerzählerin. Warum hat sie kein gutes Ende gefunden?

Selja Ahavas Roman wechselt mehrfach die Perspektive. Nicht nur Saara erzählt und Tante Annu schreibt ihre Briefe an den Fischer, auch Krista, die neue Freundin von Saaras Vater, die ein vermutlich behindertes Kind in ihrem Bauch trägt, kommt zu Wort. Drei Frauen aus drei Generationen, die alle den Launen des Schicksals ausgesetzt sind. Wenn Saara, deren Mutter eine große Märchenerzählerin war, versucht, die Ereignisse in ihre kindliche Bilderwelt einzuordnen, wimmelt es von Gespenstern und unheimlichen Geschichten. Häufig hat die Mutter bekannte Stoffe abgewandelt - nur für sich selbst, denkt Saara, hat sie sich keinen guten Schluss ausgedacht. Warum musste dieser Eisbrocken überhaupt vom Himmel fallen und ausgerechnet ihre Mutter treffen? Die Antwort ist, dass es keine eindeutige Antwort gibt.

"Dinge, die vom Himmel fallen", Selja Ahavas zweiter Roman, steckt voller Bilder, Anspielungen und Geschichten. Der Übersetzer Stefan Moster holt sie in ein anschauliches Deutsch. Wenn uns jederzeit der Himmel auf den Kopf fallen kann, hilft nur noch ein gelassener Fatalismus. Oder, in den Worten des Fischers Hamish MacKay: "Was den Alltag betrifft, so können Sie für den nur selbst sorgen. Sie und ich wissen, dass wir die meiste Zeit nur so tun, als ob es gelingt, aber trotzdem sollte man ihn nicht ganz aufgeben." Dieser ungewöhnliche Familienroman ist eine mit leichter Hand geschriebene Parabel über die Rolle des Zufalls in der menschlichen Existenz.

Selja Ahava: Dinge, die vom Himmel fallen. Roman. Aus dem Finnischen von Stefan Moster. Mare Verlag, Hamburg 2017. 205 Seiten, 20 Euro. E-Book 15,99 Euro.

© SZ vom 19.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: