Film:Die Ironie der Historie

Lesezeit: 3 min

Anca Miruna Lazarescu erzählt mit viel Witz und Herzenswärme eine todtraurige Geschichte, die ganz nah an ihrer eigenen ist: "Die Reise mit Vater"

Von Anna Steinbauer

Es ist eine Geschichte, die nur das Leben schreiben kann: Eine rumänische Familie fährt 1968 in den sozialistischen Schwesterstaat DDR. In den Urlaub. Doch landet sie geradewegs in einem Lager für Ausländer. Denn über Nacht haben die Ereignisse des Prager Frühlings die Reisenden überrollt, Kriegszustand herrscht, die Grenzen sind dicht. Da sich Ceausescu zunächst auf die Seite der Tschechoslowakei stellt, werden die Rumänen über Nacht zu Staatsfeinden. Nach etlichen Tagen verzweifelten Wartens darf die Familie schließlich ihren sicheren Heimweg antreten und der führt - paradoxerweise - über die Bundesrepublik. Sie bekommen ein 48-Stunden-Visum für den Westen: So kosten sie von der (vermeintlichen) Freiheit und der bunten Welt. Aber die Zeit drängt, eine Entscheidung muss her. Sollen sie ein neues Leben im Westen riskieren oder für immer in die längst gescheiterte sozialistische Utopie der Heimat zurückkehren?

Anca Miruna Lazarescus Vater ging nach Rumänien zurück. Eine Entscheidung, die er im Nachhinein als den größten Fehler seines Lebens bereute. Dass diese Geschichte in ihr brennt und sie daraus einen Film machen wollte, war für die 1979 in Temeswar geborene Regisseurin schon immer klar. Denn: "Ohne diesen Entschluss meines Vaters hätte es mich nie gegeben", sagt Lazarescu. Mit 18 Jahren wurde ihr Vater für 48 Stunden zum Pingpong-Ball der Geschichte: "Mein Großvater, der als Sozialist der ersten Stunde unehrenhaft aus der Partei entlassen worden war, wollte unbedingt im Westen bleiben. Er glaubte nicht, dass sich unter Ceausescu etwas ändern würde", erzählt die Filmemacherin. "Mein Vater hingegen war überzeugt von einem neuen Sozialismus und wollte zurück. Seine Familie wollte ihn nicht alleine lassen, deshalb kehrten sie alle heim." Melancholie und ein bisschen von der Was-wäre-wenn-Tristesse schwangen stets mit, wenn diese Episode in ihrer Kindheit erzählt wurde, so Lazarescu: "Mein Vater zeigte ungern seine emotionale Seite. Aber immer, wenn er seine Geschichte erzählte, kamen ihm die Tränen."

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(Foto: Movienet Film)

Russische Panzer kreuzen den Weg von Vater und Söhnen (v.l. Razvan Enciu, Alex Margineanu, Ovidiu Schumacher).

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(Foto: ADonhauser PR)

So erzählt Filmemacherin Anca Miruna Lazarescu.

"Die Reise mit Vater" ist das Ergebnis ihrer siebenjährigen Arbeit an dem von der eigenen Familiengeschichte inspirierten Stoff. Natürlich nicht eins zu eins. Im Film begeben sich ein todkranker Vater und seine beiden Söhne auf einen konfliktreichen Roadtrip in die DDR, der ihnen aufgrund der bereits beschriebenen zeitgeschichtlichen Hintergründe das absurde Zeitfenster im Westen eröffnet. Das dramatische Handwerk beherrscht Lazarescu ausgezeichnet: Der Film ist großes Erzählkino mit bewegenden Momenten voller hintergründigem Humor, keine psychologische Aufarbeitung von historisch verbürgten Tatsachen. Am Schluss bleibt die Frage, was stärker wiegt: Die vermeintliche Freiheit oder das persönliche Glück. "Ich wollte erzählen, wie einen ein Geschenk vollkommen überfordern kann. Was passiert, wenn plötzlich ein Traum, den du nie gewagt hast zu träumen, wahr wird." Eigentlich wollten ihre Eltern, dass sie Medizin studiert. Doch der Drang zum Erzählen war größer und sie landete auf der Münchner Filmhochschule. Nach dem mit mehr als 80 Preisen ausgezeichneten Kurzfilm "Silent River" kommt ihr Spielfilmdebüt nun in die Kinos.

"Die Reise mit Vater" ist keine typische Flüchtlingsgeschichte, obwohl die Bilder von der Notunterkunft in einer Turnhalle schrecklich aktuell anmuten. Wie es ist, als politischer Flüchtling in ein fremdes Land zu kommen, weiß Lazarescu dennoch recht genau. Mit elf Jahren, kurz nach Ceausescus Sturz, kam sie mit ihren Eltern im Frühjahr 1990 nach Deutschland, wo sie Asyl beantragten. Sie landeten in einem winzigen Dorf in Niedersachsen, wo sich Lazarescu schnell darum bemühte, sehr deutsch zu werden und sich zu integrieren. Überforderung war anfangs ein alltägliches Gefühl für sie, wie sie sagt - nicht nur an der Käsetheke: "Ich bin zuvor in einer Gesellschaft groß geworden, in der man niemals sagen durfte, was man wollte. Und dann wurde ich von ziemlich antiautoritären Lehrern aus der 68er-Generation unterrichtet. Plötzlich galten all die Regeln nicht mehr."

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Ein Thema, das der Film sensibel aufwirft, ist der immense Widerspruch und das Unverständnis zwischen den Linken aus dem Westen und den Menschen im Osten. "Während der Dreharbeiten in Rumänien glaubte man mir kaum, dass im Westen überhaupt jemand links war. Da gibt es noch eine große Wut auf alles, was im Namen des Kommunismus geschah." So ist auch die unterschiedliche Rezeption des Filmes in West und Ost zu erklären: Auf der Premiere beim Filmfest München erntete der Film viele Lacher und Szenenapplaus, keine 24 Stunden später herrschte in Moskau angespannte Ruhe. Eine Dame sagte im anschließenden Publikumsgespräch, Lazarescus Film führe ihnen schmerzhaft vor Augen, dass sich zwischen dem Einmarsch 1968 in Prag und der Annexion der Krim vor zwei Jahren nicht viel verändert habe.

Anca Lazarescus Vater starb während der Dreharbeiten. "Mit dem Film", sagt sie, "wollte ich ihn auch von der Last befreien, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben."

Die Reise mit Vater , von Do., 17. Nov., an in Maxim, am 17. und 20. Nov. kommt Anca Lazarescu zum Gespräch

© SZ vom 16.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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