Festival:Überraschungen für Jedermann

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Atmosphärisch und ungezwungen: Das "Jazz & the City"-Festival in Salzburg

Von Oliver Hochkeppel, Salzburg

Es erhebt sich immer öfter die grundsätzliche Frage, wie viele Gratis-Konzerte der Jazz verträgt. Überlagern sich doch bei ihm ein Image-, ein Vermittlungs- und ein Wertschöpfungsproblem. Einerseits muss man Leute anlocken, damit überhaupt publik wird, dass der aktuelle Jazz seine alten Formen und Grenzen überwunden hat und zur vielfältigen, innovativen Kunstmusik geworden ist. Andererseits darf man ihn nicht unter Wert verkaufen, damit nicht für selbstverständlich und frei verfügbar gehalten wird, was hauptberufliche Musiker in ohnehin oft prekären Verhältnissen erschaffen. Wenn, wie eine Untersuchung zeigt, in Nordrhein-Westfalen von über 2000 Konzerten im Jahr fast 60 Prozent umsonst oder "mit Hut" sind, dann ist etwas faul. Man kann die Sache aber auch umsichtiger angehen, wie das Beispiel des Gratis-Festivals "Jazz & the City" in Salzburg zeigt.

Über 100 Konzerte in 50 fast alle fußläufig über die Altstadt verteilten Spielorten waren da in den vergangenen Tagen zu erleben. Man konnte sich also treiben lassen, sich auf die verschiedensten Spielarten und -stätten einlassen, alte Bekannte wiedererleben und völlig Neues entdecken. Was das Tourismus-Büro und der Altstadt-Verband da vor 18 Jahren als Baby vor allem für die eigene Familie aus dem Taufbecken hob, ist mithilfe der öffentlichen Hände von Stadt über Land bis zum Bund und zahlreicher Sponsoren zum stattlichen Burschen herangewachsen. Und es hat seiner Entwicklung nicht geschadet, dass man sich seit dem vergangenen Jahr ein Erziehungsteam von außen geholt hat. Die Hamburgerin Tina Heine, schon Gründungsleiterin des Elbjazz-Festival, hat die Intendanz übernommen, ihre bewährte Sichtungscrew mit Götz Bühler und dem Münchner Klaus von Seckendorff mit nach Salzburg genommen und das Programm im Sinne der eingangs erwähnten Problematik austariert.

Vor allem hat sie erstmals den örtlichen Jazzclub "Jazzit" eingebunden, als - allerdings nicht in der Altstadt liegenden - Spielort, aber auch als Pate einer Reihe. Und es sah sogar so aus, als hätte Heine bei der Bandauswahl darauf geachtet, nicht zu viele von den Namen aufzubieten, von denen der Club mit seinem Eintritt lebt. Trotzdem wurde man als Besucher - die nun mehr denn je auch von auswärts und aus Bayern kommen - mit einem aussagekräftigen Ausschnitt dessen verwöhnt, was vor allem im europäischen Jazz aktuell so läuft. Schon zum Auftakt etwa mit dem neuen, gewohnt hinreißend eklektischen Programm des Berliner Andromeda Mega Express Orchesters. Ihre neuesten Projekte stellten - teilweise als Weltpremiere - auch etliche andere vor: Zum Beispiel David Helbocks Random Control-Trio einen auf seine unverwechselbare Brass- und Elektronik-Weise verwirbelten Almanach der größten Jazzpianisten und ihrer Hits; das radio.string.quartet seine erste Zusammenarbeit mit dem norwegischen Mastermind Bugge Wesseltoft; neue Alben präsentierten auch das Tingvall Trio, Shalosh, Mario Roms Interzone oder Andreas Schaerers neues Quartett A Novel of Anomaly.

Doch nicht nur bekannte Jazz-Größen (auch ein Nils Petter Molvaer, ein Nik Bärtsch, eine Michel Godard, ein Hayden Chisholm oder eine Angelika Niescier gaben sich die Ehre) waren in den repräsentativen Sälen des "Republic Theater", des "Yoco", des Mozarteums, des Landestheaters, des Bristol Hotels sowie im Marmorsaal von Schloss Mirabell oder im Maschinenhaus der Stiegl Brauerei zu erleben - nebenbei bemerkt: mit das Verblüffendste, das dieses Festival vermittelt, ist ja, wie viele grandiose Orte für Musik sich in dieser kleinen Stadt befinden. Auch viele weltmusikalischen Nebenpfade wurden (vor allem im "Afro Café") eröffnet, so mit Mokoomba aus Zimbabwe oder der angolanischen Sängerin Aline Frazão, und auch die Kneipen und Geschäfte der Altstadt mit Solo- oder Duo-Auftritten überzogen. Da konnte man dann wunderbare Überraschungen erleben, etwa wenn man beim Schlendern bei der Bücherei Stierle hängen blieb, wo der jüdisch-kanadische Rapper-Pianist-DJ-Produzent Josh Dolgin, der sich Socalled nennt, beim "Schaufensterkonzert" eine humorvoll-exzentrische One-Man-Show abzog und dabei auch gleich noch vom Postler ein paar Pakete für das Geschäft entgegennahm.

Auch andere Ideen von Heine schlugen voll ein. Einmal buchte sie etliche Musiker, vom Vorarlberger Schlagzeuger Alfred Vogel über die französische Trompeterin Arielle Besson bis zum finnischen Gitarristen Kalle Kalima, als "artists in residence" über mehrere Tage oder die ganze Festivaldauer. Die spielten dann immer wieder in unterschiedlichen Formationen oder auch bei als "Blind Date" spontan zusammengestellten Überraschungskonzerten - ein Gemeinschaftsgefühl der Musiker mit dem Publikum und der Stadt wurde so erzeugt. Schließlich machte man ein Abrisshaus zum "Hotel Chelsea", einem stets für alles offenen Treffpunkt, an dem sich so manches kreatives Gespräch und die eine oder andere hinreißende Jam Session ergab. Hier wie bei den Jam Sessions im Sternbräu oder bei Experimentalfilmen mit Livemusik im Mozartkino (dem angeblich ältesten der Welt) konnte man sie hautnah spüren, diese aus der Spontaneität und dem Augenblick geborene Faszination, wie sie nur der Jazz-Spirit erzeugt.

Freilich, nicht alles funktionierte. So muss bei Tin Men & the Telephone eigentlich jeder Besucher deren App herunterladen. Sind die futuristischen Performances der drei Jungs aus Amsterdam doch interaktiv, das Publikum gestaltet über das Smartphone den auch stark politisch-satirischen Auftritt mit. Ganze 20 Handys waren im riesigen Republic dabei: Dies ist eben nicht das Setting für ein Free & Easy-Konzert mit Kommen und Gehen. Man darf aber darauf vertrauen, dass Heine und ihr Hamburgisch-Salzburgisches Team in den nächsten Jahren weiter feinjustieren und die Sache "Jazz & the City" noch attraktiver für Einheimische wie für Auswärtige machen.

© SZ vom 02.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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