Farbstreit:Ein bizarrer Schwarzvergleich

Farbstreit: Objekt in „Black 2.0“ von Stuart Semple, der das „ganz OK“ findet.

Objekt in „Black 2.0“ von Stuart Semple, der das „ganz OK“ findet.

(Foto: Stuart Semple)

Anish Kapoor und Stuart Semple streiten um das Recht der dunkelsten Farbe seit Menschengedenken.

Von Bernd Graff

Ein bizarrer Schwarzvergleich erschüttert seit Monaten die Kunstwelt.

Begonnen hatte er damit, dass das britische Unternehmen Surrey Nanosystems das schwärzeste Schwarz der Welt, die dunkelste menschengemachte Substanz überhaupt, entwickelt hat: "Vantablack". Nur Schwarze Löcher im All schlucken noch mehr Licht.

Nun lässt sich diese Farbe nicht einfach irgendwo auftragen. Es ist ein High-Tech-Produkt, für das eine Milliarde Nano-Partikel pro Zentimeter so auf einer Oberfläche angeordnet sein müssen, dass die auftreffenden Photonen, die Lichtteilchen, solange zwischen den Nano-Partikeln hin- und herprallen, bis sie als Wärme absorbiert sind. 99,96 Prozent des Lichts sind dann geschluckt. Das menschliche Auge nimmt nicht einfach Schwarz war, sondern gar kein Licht. Es sieht aus, als habe die Welt an Vantablack-Stellen ein Loch. Objekte verlieren ihre Dimensionen, ihre Tiefe. Wired schrieb: "Du schaust auf Vantablack, aber nichts schaut auf dich zurück."

Ein Hashtag macht Karriere: #sharetheblack - Teile das Schwarz!

Die Entwicklung der Farbe war extrem teuer. Und außer Militär und Raumfahrt schien es kaum Anwendungsbereiche zu geben. Doch dann entwickelten die Surrey-Ingenieure eine weitere Version ihres Superschwarz, das einfacher auf Oberflächen aufzutragen war. Und schon meldeten sich Künstler, die damit arbeiten wollten. Allen voran der indisch-stämmige britische Bildhauer Anish Kapoor, der oft mit Licht und Farbe arbeitet und monumentale Skulpturen herstellt. Kapoor gehört zu den erfolgreichsten Künstlern der Welt. Tatsächlich erhielt er vom Hersteller die Nutzungsrechte für die Verwendung des Superschwarz in der Kunst. Und das exklusiv.

Und darum begann nun der Streit. Der 25 Jahre jüngere Kollege Stuart Semple, ebenfalls ein bekannter Künstler, regte sich so darüber auf, dass ihm und seinen Freunden Vantablack vorenthalten bleibt, dass er aus Pigmenten ein Über-Rosa, ein Über-Gelb, ein Über-Blau und ein Über-Grün zusammenrührte, die er seitdem sehr erfolgreich über seinen Online-Shop Culturehustle vertreibt. Er verkauft seine Farben mit diesem Zusatz: "Wenn Sie eines dieser Produkte bestellen, bestätigen Sie ausdrücklich, dass Sie nicht Anish Kapoor sind, dass Sie keine Beziehung zu Anish Kapoor haben, dass Sie dieses Produkt nicht im Auftrag von Anish Kapoor oder eines seiner Angestellten kaufen. Nach Ihrem besten Wissen und festesten Glauben wird dieses Produkt niemals in die Hände von Anish Kapoor gelangen." Dem folgte der Hashtag #sharetheblack - Teile das Schwarz!

Wired berichtet, Semple sei in Bestellungen schier erstickt, sogar seine Familie habe beim Pigmentrühren helfen müssen. Der Hashtag machte Karriere, Bilder von Kunstwerken aus Semple-Pigmenten wurden überall im Netz gepostet. Auch eines mit einem gestreckten Mittelfinger, der in Semples Über-Rosa getaucht worden war. Er gehörte, na klar, Anish Kapoor.

Damit ging der Streit in die nächste Runde. Die Kommentare unter dem auf Instagram geposteten Bild schäumten, Kapoor schweigt seitdem. Semple konzentrierte seine Wut nun auf die Herstellung eines eigenen Schwarz. Keines High-Tech-Schwarz wie Vantablack, aber eines, das - wie er sagt - "auch ganz in Ordnung ist", aber eben keiner Lizenz unterliegt. Semple verschickte es an seine neue, mitfiebernde Community mit der Bitte, es sogar noch schwärzer zu machen.

Und so ist jetzt aus diesem ersten DIY-Schwarz die Version "Black 2.0" hervorgegangen, dessen Lichtschluck-Eigenschaften sogar an die Schwarzlöchrigkeit von Vantablack heranreichen. Es ist erschwinglich, und man trägt es auf wie jede andere Farbe. Kapoor hat in "seinem" Schwarz inzwischen eine limitierte Uhr-Edition hergestellt, für 114 000 Euro das Stück.

Im Juli will Surrey neue Vantablack-Versionen vorstellen. Semple meint, dass er wegen der aufreibenden Vorgänge auf den verschiedenen Schwarzmärkten keine Zeit mehr hatte, Kunst zu machen. Das soll und wird sich ändern. Kein Grund also, hier schwarz zu sehen.

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