Fakt und Fiktion:Realismus reicht nicht

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Im Berliner Brecht-Literaturforum fragen deutsche Autoren nach der Zukunft der Literatur im "postfaktischen Zeitalter".

Von Moritz Müller-Schwefe

Fake News sind Fakt. Spätestens seit Donald Trump den Begriff auf kritische Berichterstattung anwendet und das rechtspopulistische Nachrichtenportal Breitbart gezielt Desinformation verbreitet, um Angst und Hass zu schüren, ist er allgegenwärtig. Insbesondere für den Journalismus sind Fake News ein Problem. Schließlich stellen sie dessen Glaubwürdigkeit infrage.

Die Reaktionen auf die über Onlineportale wie Breitbart oder von Bots in Sozialen Medien gestreuten Falschmeldungen fallen deswegen in den Redaktionen ganz unterschiedlich aus. Stichwort Faktencheck. Oder die Medieninitiative Schmalbart. Der ORF entwickelte jüngst sogar ein Programm, das täglich etwa 80 000 Facebook-Posts auf ihre Plausibilität prüfen und Fake News erkennen soll.

Natürlich sind Fake News nicht nur für den Journalismus ein Problem. Das wurde erst vor kurzem auf der Frankfurter Buchmesse deutlich. In seiner Eröffnungsrede hatte der Messedirektor Juergen Boos die "liberal-demokratisch gesinnten Büchermenschen" dazu aufgerufen, auf die grassierenden "giftigen Narrative" mit "attraktiveren Gegenentwürfen" zu reagieren. Doch wie könnten diese aussehen? Auf Initiative des Autors Enno Stahl ging es am Donnerstagabend im Literaturforum des Berliner Brecht-Hauses um "Fake und Fakt. Literatur im postfaktischen Zeitalter". Seit 2015 kommen hier im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Richtige Literatur im Falschen" regelmäßig Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen, um über die Frage zu diskutieren, wie die Literatur eine "soziale Relevanz" zurückerlangen kann.

Muss sich die Literatur durch das "Postfaktische" wirklich herausgefordert sehen?

Den Abend eröffnete Katja Kullmann. In ihrem kurzweiligen Statement unterstrich die Autorin und Journalistin die zersetzende Wirkung der Fake News und rief Boos' Worte ins Gedächtnis. Seine Aufforderung sehe sie skeptisch. Offenbar wünsche er sich eine Literatur mit pädagogischem Auftrag. Die Frage, wie Literatur auf Fake News reagieren solle, nahm Kullmann dennoch auf, und plädierte für eine "Everything-in-between-Literatur", für die Vermischung der Kategorien Sachbuch und Belletristik, die in den USA unter Non-Fiction läuft und hierzulande Erzählendes Sachbuch heißt. Als einen erfolgreichen Vertreter dieses Labels führte Kullmann den französischen Soziologen Didier Eribon an, der im vergangenen Jahr mit seiner autobiografischen Analyse "Rückkehr nach Reims" in Deutschland einen Bestseller landete. Das "Everything-in-between" als Phänomen des sogenannten postfaktischen Zeitalters?

Die Diskussion, an der neben Kullmann und Stahl auch die Autorin Annett Gröschner, die Lyrikerin und Herausgeberin Simone Kornappel und der Sozialwissenschaftler David Salomon teilnahmen, drehte sich vor allem darum, wie viel Dokumentarismus und Analyse die Gegenwartsliteratur brauche, um der aktuellen Erosion des Wahrheitsbegriffs zu begegnen. Dass sich nahezu alle Diskutierenden dabei sofort auf die Frage nach dem Wie einließen, war das Dilemma des Abends. Denn warum eigentlich sollte die Literatur auf Fake News reagieren müssen? Abgesehen davon, dass sich die Kategorien medialer Berichterstattung (Ist eine Meldung richtig oder falsch? Wie schnell wird sie veröffentlicht?) kaum auf die Literatur anwenden lassen. Sollte es nicht vielmehr darum gehen, sich auf ihre Stärken zu besinnen, als nach Wegen zu suchen, um einem angeschlagenen Wahrheitsbegriff zur Seite zu springen, wo sie es doch mit der Wahrheit - zum Glück - seit jeher nicht so genau nimmt?

Immerhin kamen sowohl Kornappel, mit Blick auf die Lyrik, als auch Gröschner und Stahl im Laufe der Diskussion dann doch noch auf den "Nachhaltigkeitseffekt" von Literatur zu sprechen. Denn dass Literatur per se meist eine langsame (und fiktive) Angelegenheit ist, muss nicht schlecht sein. Im Gegenteil. Bietet sie doch nicht nur den Schreibenden, sondern vor allem den Lesenden die Möglichkeit zur Reflexion - und zum Nachempfinden. Kann sie doch damit am besten hervorkehren, mit Enno Stahl, "was uns umgibt und umtreibt . . ., Widersprüche, Ungleichheiten und Ohnmacht. Und uns so fragen und vielleicht neu verstehen lehren, wo sonst nur vorgestanzte Antworten existieren". Dass die Literatur dabei nicht immer von einer allen zugänglichen Wirklichkeit ausgehen muss, wusste schon der Argentinier Julio Cortázar (1914-1984): sie solle nur mithelfen, uns zur Wirklichkeit zurückzuführen. Vielleicht also sollte den Fake News nicht mit noch mehr Realismus begegnet werden, noch mehr Dokumentarismus oder dem "In-between". Vielleicht braucht es einfach mehr mutige Fiktion.

© SZ vom 25.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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