Europäischer Islam:Doppelspiel im Rampenlicht

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Einen europäischen Islam fest im Blick: Tariq Ramadan wurde 1962 in Genf geboren, nun will der Intellektuelle die französische Staatsbürgerschaft beantragen. (Foto: Alastair Grant/AP)

Tariq Ramadan will Franzose werden, er provoziert damit Streit.

Von Joseph Hanimann

Diskussionsveranstalter wissen es: Sobald sein Name auf der Rednerliste steht, ist der Saal garantiert voll. Der 1962 in Genf geborene und aufgewachsene Tariq Ramadan, Enkelsohn des Gründers der Islambruderschaft, des Ägypters Hassan Al-Banna, ist mit dem europäischen Lebensstil bestens vertraut, ist intelligent, belesen, redegewandt (wenn er sich nicht gerade aufregt), tritt elegant auf und verkörpert ein islamisches Selbstbewusstsein in der europäischen Gesellschaft, das nicht ständig um Verständnis bettelt, sondern dieses im Namen einer offenen Gesellschaft als selbstverständlich voraussetzt. Er diente dem Schriftsteller Michel Houellebecq weitgehend als Vorbild für die Figur des Mohammed Ben Abbes im Roman "Unterwerfung": eines Politikers, der gegen all die Kleinmeister des wirtschaftlichen Managements als einziger ein zivilisatorisches Projekt vertritt und zum neuen französischen Staatspräsidenten gewählt wird.

Dieser Tariq Ramadan hat im Frühjahr seinen Entschluss publik gemacht, als Schweizer nun auch die französische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Als Gatte einer Französin und Vater von vier Kindern mit französischem Pass steht ihm dies zu. Der nicht nur unter Muslimen bekannte Denker, Redner und Prediger hat mit seinem Vorhaben aber eine Kontroverse entfacht, die bis hinauf zum Premierminister reicht. Er sehe keinen Grund, auf den Antrag positiv einzugehen, erklärte Manuel Valls, denn Ramadan stehe den Grundwerten Frankreichs fern.

Dieser Intellektuelle, Autor zahlreicher Bücher, Gastdozent von Marokko bis Japan und Inhaber eines - von Katar finanzierten - Lehrstuhls in Oxford, fasziniert und eckt an. Er hat das, was viele Intellektuelle heute nicht mehr haben: Gehör bei der breiten (muslimischen) Bevölkerung und zugleich die Schlagfertigkeit unter seinesgleichen. Sein Konzept eines "europäischen Islam" im Spannungsfeld zwischen Kultur- und Religionsgemeinschaft geht von der Beobachtung aus, dass diese Gemeinschaft ähnlich wie die christliche in der breiten Streuung zwischen Strenggläubigen, Halbgläubigen, Gewohnheitspraktikern und "atheistischen Muslimen" heute einen festen Bestandteil der westlichen Gesellschaft ausmacht. Viele vermuten hinter dieser lockeren Pragmatik Ramadans aber ein politisches Programm, nämlich das, über die Religionsfreiheit eine Kulturfreiheit einschleusen zu wollen. Sie werfen dem Intellektuellen ein Doppelspiel vor. Die meisten Universitäten vermeiden es, ihn auftreten zu lassen, und manche Gelehrte lassen sich, wenn sie Ramadans Namen in Veranstaltungsprogrammen oder öffentlichen Petitionen entdecken, von der Liste wieder streichen. Andere plädieren hingegen dafür, mit diesem Außenseiter offen die Auseinandersetzung zu gehen. In seiner Äußerung beklagte Premierminister Valls eine Achse des "Islamo-Gauchismus": dem Schulterschluss zwischen klassenkämpferischen, kulturrelativistischen und religionskonservativen Unterwanderern der Republik.

Der Politologe und Islamspezialist Gilles Kepel erklärt Ramadans Entschluss, nach all den Jahren nun plötzlich Franzose werden zu wollen, mit einem politischen Kalkül. Der Intellektuelle habe erkannt, dass ein politischer Raum frei geworden sei. Die traditionell links wählenden Muslime seien von Hollande enttäuscht wie viele andere Franzosen. Um in diesem Feld eine Rolle zu spielen, reiche es nicht, mit fremdem Pass kreuz und quer als Redner durchs Land zu fahren. Ramadan hatte sich stets gegen die Schaffung einer spezifisch muslimischen Partei ausgesprochen und wollte auch nie als Vertreter der französischen Muslime in Erscheinung treten. Als künftiger Politiker will er sich so wenig sehen wie als Vorbild von Houellebecqs Romanfigur. Der Wirbel um seine Person dürfte ihm aber nicht unlieb sein. Er bringt unsere Probleme ins Rampenlicht, sagen seine Anhänger. Die Scheinwerfer haben ihm schon lange das Hirn ausgebrannt, sagt einer seiner muslimischen Gegner.

© SZ vom 27.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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