Essay:Ganz groß

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Eines der Plakate, mit denen der Industrieverband der USA in den Dreißigerjahren behauptete, dass es den Menschen nirgendwo anders so gut geht. (Foto: Dorothea Lange/Getty)

Es gibt die Hoffnung, dass der politische Alltag den gewählten Präsidenten Donald Trump nach seiner Amtseinführung zur Mäßigung zwingt. Allerdings gibt es auch die Ideologie der "Greatness".

Von Lothar Müller

Je näher der 20. Januar heranrückt, an dem der im November gewählte neue amerikanische Präsident sein Amt antritt, desto attraktiver wird in Europa die Theorie der Einhegung und Zähmung Donald Trumps durch die Routinen der Demokratie. Am Tag des Amtsantrittes wird der mit allen Mitteln kämpfende Kandidat, der im "president elect" noch bis zuletzt überleben konnte, definitiv abtreten müssen. Das Amt wird ihn zwingen, seine Rhetorik zu mäßigen. Die Einbettung in das Geflecht der Administration wird seiner Impulsivität Zügel anlegen, die Professionalität gerade der republikanischen Abgeordneten und Senatoren in beiden Kammern des Kongresses wird seinem Dilettantismus entgegenarbeiten. Zugleich wird die mächtigste Zähmungsinstanz, die weltpolitische und inneramerikanische Realität an die Arbeit gehen und die unausgegorenen Ankündigungen und Versprechen des Kandidaten so lange kräftig zurechtstutzen, bis von ihnen nur noch wenig übrig ist. So ging es noch jedem Heißsporn und Neuling in der Politik. So wird es auch diesem gehen.

Von dieser Einhegungstheorie eingestimmt, kann das europäische Publikum dem Amtsantritt Donald Trumps mit einer gewissen Gelassenheit entgegensehen. Aber was, wenn der Kandidat, kaum im Amt, trotz aller Einschränkungen daran geht, kraft seines Amtes eine Politik durchzusetzen, die den Versprechungen seiner Kampagne entspricht. Vor allem seiner zentralen Parole "Make America great again", also Amerika wieder zu wahrer Größe zu führen?

In den USA wird derzeit gerade bei den Kritikern Trumps diese Frage erörtert. Sie setzt voraus, dass die Parole mehr ist als ein allgemeiner Patriotismus-Appell im Retro -Design, sondern in ihr eine Agenda steckt, und dass diese Agenda in den Reihen der Republikaner, die derzeit durchaus nicht geschlossen hinter dem von Skandal zu Skandal eilenden künftigen Präsidenten stehen, an Zustimmung gewinnen könnte.

Die "Intellektuellen für Trump" unterzeichneten mit lateinischen Pseudonymen

Der New Yorker porträtiert in seinem jüngsten Heft die "Intellectuals for Trump", eine Gruppe konservativer Intellektueller, die mit nicht geringem publizistischen Erfolg die Kampagne des Kandidaten unterstützt hat. Das Online-Portal, in dem sie von Februar bis September vergangenen Jahres ihre Blogs publizierten, war ein mit Ironiesignalen durchsetzter Durchlauferhitzer. Doch sein Titel "Journal of American Greatness", nahm die Wahlkampf-Parole in vollem Ernst und mit dem Ehrgeiz auf, sie mit einer regierungsfähigen Agenda zu unterfüttern. Die Vulgarität des Kandidaten nahmen sie als unvermeidliches Übel in Kauf, und ließen sich durch seine demonstrative Verachtung alles Ideologischen nicht daran hindern, ihm den Entwurf einer Ideologie, den "Trumpismus" an die Seite zu stellen.

Während der Kandidat seine schrillen Tweets absetzte, formulierten sie ihre Beiträge im klassischen High-brow-Stil. Sie unterzeichneten sie mit lateinischen Pseudonymen und formierten sich als "think tank", der die Trump-skeptische republikanische Orthodoxie herausforderte.

Zum Starautor dieser Gruppe avancierte "Publius Decius Mus", der sich zum Pseudonym einen römischen Konsul gewählt hatte, der in einer Schlacht sein Leben für das Vaterland geopfert hatte. Publius Decius Mus machte in konservativen Kreisen mit dem Essay "The Flight 93 Election" Furore, der im September in der Claremont Review of Books erschien und mit großer rhetorischer Geste ein Szenario des Todesmutes aus Notwehr inszenierte. Darin war Amerika das gekaperte vierte 9/11 Flugzeug. Die Wahlentscheidung für Trump sei der verzweifelte Versuch der Passagiere, ins Cockpit zu gelangen, um sich eine Rettungsperspektive jenseits zu erkämpfen (im wahren Leben stürzte die Maschine dann über Pennsylvania ab).

Der rhetorische Coup gelang. "Decius" wurde zum Inbegriff des "Intellektuellen für Trump", im aktuellen New Yorker tritt er in dieser Rolle leibhaftig auf, in einem Schnellimbiss in der Grand Central Station, aber nur, weil ihm das Magazin zugesagt hat, sein Pseudonym nicht zu lüften. Es ist eine ironische Maskerade, aber zugleich Teil der ernst gemeinten politischen Strategie. Der Bezug auf die Antike ist in die Fundamente der Demokratie in Amerika eingelassen. Ein konservativer Think Tank, der etwas auf sich hält, muss auf diesen Fundus und auf die Theorien des Politischen von Plato und Aristoteles und die Deutungen des römischen Imperiums von Montesquieu und Edward Gibbon bis zu Leo Strauss zurückgreifen.

"Decius" und seine Mitstreiter stellen Trumps Parole "Make America Great again" in diesen Echoraum, in dem Greatness und Decline, Größe und Niedergang, immer schon eng miteinander verknüpft waren. Trump erscheint in ihren Texten als Krisensymptom einer erschöpften Republik, und sie liefern die Niedergangserzählung, die eine Parole braucht, in der die Wiederherstellung verlorener Größe versprochen wird.

Schon im April 2016 erschien, unterzeichnet von "Lucullus & Plautus" im Zentralorgan der Gruppe der Essay "Trump as Critic: The Need for a Greatness Agenda". Hillary Clinton kam darin kaum vor, sie war als Verkörperung der korrupten Republik vorausgesetzt. Obama spielte allenfalls eine Nebenrolle, denn nicht mit ihm begann die Niedergangserzählung, sondern am Ende der Reagan-Ära, mit dem Mauerfall und der Auflösung der bipolaren Weltordnung sowie der wachsenden Bedeutung der Finanzmärkte in der globalisierten Ökonomie.

Keine Präsidentschaft nach Reagan, so die Hauptthese, hat die "Greatness" Amerikas in der neuen ökonomischen und politischen Weltordnung gesichert, jede hat zum Niedergang beigetragen, allen voran die Präsidentschaft von George W. Bush mit ihren irregeleiteten, im Irakkrieg dramatisch scheiternden Ideen des Demokratie-Exports. Republikanische und demokratische Administrationen beerben einander in dieser Niedergangserzählung, ohne einander grundsätzlich in Frage zu stellen. Ihre Differenzen verblassen angesichts der Illusionen, die sie teilen. Das gilt vor allem für die Illusion, das ökonomische Fundament von "Greatness" lasse sich durch das Zusammenspiel von Wall Street und Silicon Valley im Innern und Freihandelspolitik innerhalb der globalen Ökonomie sichern.

"Decius" und seine Mitstreiter haben wahrscheinlich nie ein Stahlwerk von innen gesehen. Aber ihre Kritik am Freihandel passt gut zur Generallinie des ehemaligen CEO im Stahlkonzerns Nucor, Dan DiMicco, den Donald Trump während seiner Kampagne zu seinem wirtschaftspolitischen Berater gemacht hat. DiMiccos Buch "American Made. Why making things return us to greatness" (2015) ist nicht nur ein Plädoyer für die Stärkung der amerikanischen Industrieproduktion, das Andrew Carnegies "The Gospel of Wealth" (1889) als Evangelium des "realen", in Industrie und "manufacturing" erwirtschafteten Reichtums gegen den Finanzsektor in Stellung bringt und für das Amerika des 21. Jahrhunderts empfiehlt.

Es ist zugleich und vor allem der Erfahrungsbericht eines von der Globalisierung desillusionierten Stahlmanagers, der an die "unsichtbare Hand" als regulative Instanz der Märkte nicht mehr glaubt und dessen Absage an die "Free-Trade-Fiction" sich in einem Wort zusammenfassen lässt: China.

Alles, was zur "Greatness" Amerikas beiträgt, soll recht sein

Nie würden "Decius" und seine Mitstreiter im Blick auf die Nationen, die in der neuen Weltordnung mit den Vereinigten Staaten um "Greatness" konkurrieren, von "Schurkenstaaten" oder vom "Reich des Bösen" reden. Aber in ihrer Niedergangserzählung spielt wie bei DiMicco China die Schlüsselrolle, und dies gleich doppelt. Es profitiert nicht nur von der Fiktion des Freihandels und der Asymmetrie der Handelsbeziehungen mit den USA. Es hat zugleich durch seine Rolle als Akteur auf den globalen Finanzmärkten zur amerikanischen Immobilienkrise 2008/09 entscheidend beigetragen.

Mauern gegen Immigranten bauen, scharfe Grenzkontrollen, hochgerüstete Sicherheitsorgane, das alles finden "Decius", "Lucullus" oder "Plautus" okay, aber vordinglich für die Wiedergewinnung amerikanischer "Greatness" ist bei ihnen die Revision der Freihandelsillusion und die Änderung der Politik gegenüber ihrem Hauptprofiteur, China.

Die Freihandelskritik steht wie die Ersetzung einer "werteorientierten" durch eine radikal "interessengeleitete" Außenpolitik, die etwa Assad in Syrien gewähren lässt, wenn es zur amerikanischen "greatness" beiträgt, im Zentrum der Rebellion der selbsternannten "Trumpisten" gegen die republikanische Orthodoxie. Denn die Pointe ihrer Niedergangserzählung ist, dass eine Trump-Administration das Erbe des letzten erfolgreichen Präsidenten Ronald Reagan nur antreten kann, wenn sie sich von den Konzepten seiner Ära verabschiedet.

Der Kandidat Donald Trump wird durch seine Amtseinführung nicht nur in die Regierung und die Routinen des Regierens eingebettet, sondern auch in die Richtungskämpfe innerhalb der republikanischen Partei und des konservativen Milieus. "Decius" & Co. sind da bisher nur Außenseiter. Aber wie schnell sich so etwas ändern kann, hat Trumps Wahlkampf gezeigt. Die Einhegungstheorie sollte den mit der Person des Kandidaten nur locker verknüpfte "Trumpismus" und seine "Greatness"-Agenda auf der Rechnung haben.

© SZ vom 14.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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