Endspurt in Cannes:Das große Schwabbeln

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Isabelle Huppert und Gérard Depardieu in "Valley of Love". (Foto: Festival)

Ein Drama: Gérard Depardieu quält sich ab in der kalifornischen Wüste. Im Clinch mit Isabelle Huppert.

Von David Steinitz

Zu welchen körperlichen Deformationen das konsequente Durchexerzieren französischer Lebensart führen kann, demonstriert am letzten Wochenende der Filmfestspiele von Cannes der gallische Monolith Gérard Depardieu.

Während sich in den wuseligen Bars und Cafés der Altstadt und in den Fischrestaurants an der Strandpromenade die Festivalbesucher fröhlich berauschen, zeigt Depardieu, wohin jahrzehntelang unbegrenzter Wein- und Weißbrotgenuss führt. Dass der Schauspieler sich seit Jahren konsequent selbst runterwirtschaftet, war schon in seinen letzten Filmen nicht zu übersehen. Filme, die er wohl passend zu seiner Körperform ausgewählt hat. Obelix, das geht doch wunderbar, wenn man selbst so aussieht, als würde man jeden Tag ein Wildschwein essen. Auch die Trash-Travestie "Welcome to New York", in dem er, inspiriert von Dominique Strauss-Kahn, den Orgienliebhaber gab, legte sich wie ein perfekt sitzendes Kostüm um seinen stolzen Bauch. Das aber waren Auftritte, die vor allem selbstironisch angelegt waren.

Bevor am Sonntagabend im Festivalpalast die Preise vergeben werden, war Depardieu nun im französischen Wettbewerbsbeitrag "Valley of Love" von Guillaume Nicloux zu sehen. Und wie er seine Physiognomie hier zur Schau stellt, das hat man in dieser schnaufenden, schwitzenden, schwabbelnden Aufrichtigkeit noch nicht gesehen.

Der Film handelt von einem geschiedenen Ehepaar - Depardieu und Isabelle Huppert -, deren Sohn Selbstmord begangen hat. In einem Abschiedsbrief bittet er die Eltern, die sich seit Jahren nicht gesehen haben, sich in der Hitze der kalifornischen Wüste zu treffen, wo er ihnen ein letztes Zeichen des Abschieds hinterlassen hat.

Die Geschichte ist ein bisschen pseudomystisch überladen, und Isabelle Huppert macht in ihrer Dauerrolle als Chefzicke des französischen Kinos auch keinen allzu großen Spaß. Aber dem fetten Depardieu zuzusehen, der keine drei Schritte gehen kann, ohne dass die Haare ihm an der Stirn kleben, das Hawaiihemd durchnässt ist und er röhrt wie ein sterbender Wal - das ist schon eine merkwürdig perverse Schau. Ob dieser Mensch nicht auf der Stelle einen Herzinfarkt erleiden müsste, ist fast der größere Spannungsbogen als die Trauerarbeit der verzweifelten Eltern.

Neben Depardieu stand zum Ausklang des Festivals außerdem noch ein anderer Klassiker der französischen Kultur auf dem Programm. Außer Konkurrenz wurde der Animationsfilm "Der kleine Prinz" gezeigt, frei nach Antoine de Saint-Exupéry. Weil das kleine Büchlein mit den großen Lebensweisheiten mittlerweile vor allem als Standardwerk für Nachwuchsesoteriker und Poesiealbumliebhaber gilt, hat Regisseur Mark Osborne die Geschichte generalüberholt und fürs Pixarzeitalter aufbereitet.

Ein kleines Mädchen wird von seiner Mutter in einer böse geometrischen Jacques-Tati-Alptraumstadt gedrillt, damit es von einer Eliteschule aufgenommen wird. Über einen seltsamen Nachbarn kommt sie in Kontakt mit der Welt des kleinen Prinzen und bricht aus ihrem akkuraten Stundenplan-Leben aus. Gemeinsam mit einem gealterten kleinen, also großen Prinzen muss sie gegen eine Horde gefährlicher Männer antreten, die sich eine Welt ohne Kinder wünschen - und die sehr an die grauen Herren aus "Momo" erinnern.

Der Film ist eine französische Produktion mit amerikanischen Star-Sprechern, unter anderem dabei: James Franco, Rachel McAdams und Paul Rudd. Um den Spagat zwischen amerikanischem Animationsfilmstandard und europäischem Lebensweisheitsmärchen auch visuell auf den Film zu übertragen, sind alle Szenen, die Osborne und seine Autoren sich zusätzlich zum Buch ausgedacht haben, computeranimiert. Die Welt des kleinen Prinzen wird als Stop-Motion-Wunderland gezeigt, die alte, elegante Schule der Filmanimation.

Nur: ganz so fantastisch schizophren wie die knallbunte Pixar-Psychoanalyse "Inside Out", die ebenfalls in dieser Woche in Cannes Premiere hatte, und die für das kreatürliche Emotionsleben des Menschen viel schönere bildliche Übersetzungen findet, ist "Der kleine Prinz" leider nicht geworden.

© SZ vom 23.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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