Ein Aufsatz:Im Dienst der Wahrheit

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Jürgen Trabant analysiertdie Sprachreinigungstechniken von der Französischen Revolution über George Orwells "1984 " bis zu Donald Trump. Wenn "Sprachwaschmaschinen" einmal in der Welt sind, kann man sie nicht mehr abschaffen.

Von Thomas Steinfeld

Als die Französische Revolution gesiegt und den Staat übernommen hatte, begann sie mit einer Reinigung der Sprache. Im vermeintlich alleinigen Besitz der Tugend und der Wissenschaft gingen die Revolutionäre zuvörderst gegen die alten, regionalen Sprachen Frankreichs vor. In ihnen vermuteten sie so viel feudale Rückständigkeit, dass sie vernichtet werden mussten ("anéantir" lautet das französische Wort dafür). Aber auch dem Wörterbuch ging es an den Kragen. Darin wurde zum Beispiel der "König" ("roi") durch den "Tyrannen" ("tyran") ersetzt. Der Unterschied der Bedeutungen war selbstverständlich gewollt. Wobei zu einer solchen Geschichte hinzugehört, dass es durchaus möglich ist, die Wahrnehmung von Dingen durch Wörter zu verändern: Ein "Raubvogel" ist etwas anderes als ein "Greifvogel", und wenn letzterer in die Natur zurückkehrt, dann hat das auch damit etwas zu tun, dass er nicht mehr "Raubvogel" heißt.

Von "Sprachwaschmaschinen" spricht der Berliner Linguist Jürgen Trabant in einem Aufsatz, der in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift für Ideengeschichte (Heft XI/1, Frühjahr 2017) erschienen ist. Er meint damit systematisch angelegte Unternehmungen zur Reinigung der Sprache "im Dienst der Wahrheit und des richtigen Denkens". Deren Geschichte verfolgt er von Francis Bacon, einem der Patrone der Aufklärung, bis hin zu jüngsten Versuchen, das Wort "Flüchtling" durch "geflüchtete Person" zu ersetzen, was vermutlich in dem Bestreben geschieht, das Rechtssubjekt im Flüchtling geltend zu machen. Die bekannteste "Sprachwaschmaschine" scheint indessen gegenwärtig die Regierung des amerikanischen Präsidenten Trump zu sein, die solche Wörter wie "alternative facts" kennt. Die Empörung darüber, dass in dieser Regierung zwischen Interessen und Wahrheiten wenig unterschieden wird, hatte dann zur Folge, dass ein fast siebzig Jahre altes Buch bis an die Spitze der amerikanischen Bestsellerlisten aufstieg: George Orwells Roman "1984".

Hinter der Sprachreinigung in Orwells "1984" droht die Macht - und die Folter

Der Traum von einer gereinigten Sprache sei in diesem Werk, schreibt Jürgen Trabant, "in ihrer totalitären politischen Konsequenz zu Ende gedacht". Dieses Urteil bezieht sich auf eine Gestaltung der Sprache, die George Orwell in seinem Buch "Neusprech" oder "Doppeldenk" nennt. Sie zielt auf einen Eingriff ins Vorstellungsvermögen eines jeden Bürgers, in dessen Folge dieser gar nichts mehr anderes sollen wollen kann als das, was ihm vorgesprochen wird. Doch scheint die Empörung, die viele Amerikaner dazu bewegte, in "1984" eine Vision zur Herrschaft Donald Trumps zu erkennen, mit der Lektüre auf und davon gegangen zu sein: Denn es gibt in diesem Buch die Macht, die mit der Sprache auch die Wahrnehmung verändert. Aber dahinter, für den Fall, dass die Mittel der Sprachreinigung nicht ausreichen, droht etwas weitaus Schlimmeres, nämlich die Folter. Erst diese Möglichkeit lässt den Totalitarismus des "Großen Bruders" vollständig werden, und von ihr sind die amerikanischen Verhältnisse unter Donald Trump noch weit entfernt - abgesehen davon, dass dieser Präsident viel zu sprunghaft, viel zu persönlich zu sein scheint, um so etwas wie einen "Großen Bruder" abzugeben, und gewählt wurde er außerdem.

Im Übrigen, erklärt Jürgen Trabant, sei es ein Irrtum zu glauben, "dass die Wörter befehlen, dass das Denken sozusagen insgesamt und ausweglos in die Sprache eingepfercht" sei. Denken sei immer über die Sprache hinaus. Wie richtig dieses Urteil ist, lässt sich daran erkennen, wie schnell die Sprache, wenn sie einmal durch die Waschmaschine ging, wieder schmutzig wird. So entstehen Reinigungsfolgen, in denen sich der "Neger" in einen "Schwarzen" in einen "Farbigen" in einen "Menschen afrikanischen Ursprungs" verwandelt. Offenbar gehören auch solche Prozesse zur Technik der Sprachwaschmaschine: Wenn sie einmal in Betrieb ist, lässt sie sich nicht mehr abschalten.

© SZ vom 15.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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