Ein Aufsatz:Der Feind der Andächtler

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Er war eine exzellente Nebenfigur, seit 1827 stand er im Dienst der Wittelsbacher und beriet als Beichtvater. Nun hat Gerhard Immler Dokumente zum Wirken Georg Karl Reindls zusammengetragen.

Von Rudolf Neumaier

Reindl ist eine exzellente Nebenfigur. An Männern wie ihm lassen sich ganze Sittengemälde entfalten. Zumindest aber ergibt sich aus der Beschäftigung mit ihm ein hübscher Einblick in die oberste Etage des Königreichs Bayern. Dr. Georg Karl von Reindl lebte von 1803 bis 1882 und wirkte von seinem 24. Lebensjahr an in Diensten der Wittelsbacher. Und in Diensten der Kirche. Er arbeitete für die Königsfamilie als Religionslehrer, Berater und Beichtvater. Im 19. Jahrhundert ließen sich viele Staatsoberhäupter und Spitzenbeamte noch von Geistlichen beraten, Priester hatten noch unmittelbaren Einfluss auf Politik - zumal in Bayern. Das macht Reindl interessant.

Gerhard Immler macht diesen historischen und kirchenhistorischen Nebendarsteller in einem Beitrag für den aktuellen Band 80 der Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte (ZBLG) zum Protagonisten. Immler leitet das Geheime Hausarchiv im Bayerischen Hauptstaatsarchiv und kennt die Wittelsbacher-Dynastie wie kaum ein anderer. Sein Aufsatz ist überwiegend aus Briefen, handschriftlichen Notizen und anderen Archivalien erarbeitet. Hier kommen die Akteure selbst zu Wort.

Unversöhnliche Kleriker gegen liberale Geister - heute ist es nicht anders

Am einfachsten lässt sich Reindls Bedeutung an seinem prominentesten Zögling exemplifizieren, an Ludwig II.: Der junge König, Kunstenthusiast und Schlösserbauherr, verehrte geradezu abgöttisch Richard Wagner, das Musikgenie - allein Wagners Antisemitismus lehnte er ab. Diese Gesinnung des Monarchen führt Immler auf Georg Karl Reindl zurück. Der hatte als Religionslehrer an Ludwigs Erziehung mitgewirkt. Und wie Reindl übte Ludwig II. gegenüber Protestanten Toleranz und Wohlwollen - eher untypisch für Wittelsbacher des 19. Jahrhunderts. "Auf geistig-religiösem Gebiet", schreibt Immler, seien Reindls "Einflüsse unverkennbar". Mitunter ging er seinen Chefs aber auf den Geist, das verschweigt Immler auch nicht.

Reindls theologische Ausrichtung war aber schon längst nicht mehr opportun: Wer in dieser Zeit als katholischer Geistlicher den Protestantismus allzu lasch bekämpfte, für den endete die Klerikerkarriere trotz großer Ambitionen jäh. Reindl ließ sich zu einer - aus klerikaler Sicht - Verfehlung nach der anderen hinreißen. Am ersten Todestag von Königinwitwe Karoline etwa las er eine Messe für die königliche Familie, und das obwohl Karoline doch evangelisch gewesen war - wie unbotmäßig. Dass Reindl in München Domdekan wurde, verdankte er seinem König, der solche Beförderungen selbst vornehmen konnte.

Er wollte Bischof werden. Zweimal nominierte ihn der bayerische König, zweimal wies Rom ihn zurück. Denn Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die neuscholastische Partei im Katholizismus das Sagen, die Ultramontanen. Gerhard Immler bezeichnet ihre Münchner Vertreter an mehreren Stellen als "intransigent" - unversöhnlich, kompromisslos. Sie waren Reindls Gegner. Ihre überkandidelte Frömmigkeit verspottete der königliche Beichtvater als "Andächtelei", ihre Intoleranz entlarvte er als "Schmähsucht und Polemik". Ihn wiederum mit seiner Theologie der Achtung anderer Religionen apostrophierten die Andächtler als "Ueberliebseligen".

Den Autoren dieses ZBLG-Bandes, der als Festschrift zum 80. Geburtstag von Walter Ziegler erschienen ist, war der Titel "Kirche - Religion - Staat" vorgegeben. Gerhard Immler hat einen vergessenen Staatskirchenreligionsmann entdeckt. In den Auseinandersetzungen, die er an dieser Figur entlang aufbereitet, spiegelt sich der kircheninterne Streit von heute. Intransigente Dogmenwarte sticheln gegen den Papst, der den katholischen Glauben versöhnlicher und weltoffener gestalten will. Georg Karl von Reindl personifiziert den Kampf der Liberalität gegen die Borniertheit.

© SZ vom 11.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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