Dramatik:Viktorianer, frisch geduscht

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Als die am Strand Vermisste zurückkehrt, trauert der Dichter um seine Zeilen auf ihren Tod. "Freshwater" blieb das einzige Theaterstück, das Virginia Woolf geschrieben hat. Nun liegt es in einer neuen Übersetzung vor.

Von Eva Schäfers

Es gibt Dichterinnen und Schriftsteller, deren Namen mit so viel gehauchter Ehrerbietung genannt werden, dass man sie schon hasst, bevor man auch nur eine einzige Zeile von ihnen gelesen hat. Es wäre sehr ungerecht, wenn dies Virginia Woolf widerfahren würde, die nicht nur experimentelle Romane geschrieben hat sondern oft auch in der kleinen Form groß war, in ihren Essays beispielsweise. So, wie sie ihr Elternhaus vom viktorianischen Plunder entrümpelt und die schweren Vorhänge verbannt hat, um mehr Licht hereinzulassen, so hat sie in ihrem Theaterstück "Freshwater" die Viktorianer beleuchtet und kritisch, mit leisem Lächeln gesichtet. Es enthält nicht nur feine Parodien berühmter und - auch zu ihrer Zeit schon toter - Künstler, es ist eine Karikatur des viktorianischen Zeitgeists überhaupt samt seinem erstickenden Tugendkatalog aus Anstand, Bescheidenheit, Pflichterfüllung und der Sublimierung von Sexualität und Erotik.

"Freshwater", genannt nach einem kleinen Örtchen auf der Isle of Wight, blieb ihr einziges Theaterstück. Das Schreiben diente ihr als Entspannung während der Arbeit an dem Roman "Mrs. Dalloway". Sie hat es mit ihren Freunden und ihrer Familie im Studio ihrer Schwester Vanessa Bell im Winter 1935 aufgeführt, nur zur privaten Belustigung, ohne jemals an eine spätere Veröffentlichung zu denken. Wie es heißt, hat sie sich beim Schlussapplaus für diese "Eselei", wie sie es nannte, mit einem Eselskopf über ihrem eigenen Haupt verbeugt.

Um diese "Eselei" heute verstehen und genießen zu können, ist einige Anstrengung vonnöten. Das Nachwort des Virginia Woolf-Kenners und Herausgebers ihrer Werke Klaus Reichert sollte man unbedingt vorab lesen. Dann den lebendigen Essay von Virginia Woolf über die exzentrische Hauptfigur, ihre Tante Julia Margret Cameron, die sich als Fotografin berühmter Zeitgenossen einen Namen machte. Wenn man parallel zum Stück auch immer wieder das ausführliche Glossar zu Rate zieht, kann bei der Lektüre fast nichts mehr schief gehen.

Tobias Schwartz hat mit offensichtlicher Lust an der Komik das Stück ins Deutsche übersetzt. Nicht seine Handlung, sondern der smarte Dialog ist entscheidend, wobei Schwartz die jeweilige Klangfarbe der exzentrischen Selbstdarsteller schön heraus modelliert hat, etwa den herrischen Ton von Mrs. Cameron, die zu Beginn ihrem wehklagenden Ehemann die Haare wäscht oder den naiv-schwärmerischen der jungen Ellen Terry, die dem überspannten Maler George Frederic Watts Modell sitzt, als Inkarnation der "Bescheidenheit, die Mammon zu Füßen sitzt".

Der Dichter trauert, als die am Strand Vermisste zurückkehrt, um seine Zeilen auf ihren Tod

Und eine Lust ist die Karikatur des fanfarenhaft tönenden Dichters Alfred Tennyson, zu diesem Zeitpunkt noch ohne den Lord-Titel. Er erscheint als, wie die Engländer sagen, "pompous old fart". Durchdrungen von der eigenen Bedeutung, griesgrämig in der eingebildeten Gewissheit, dass die Umgebung diese nicht angemessen zu würdigen weiß. Als die schon vermisste Ellen Terry höchst lebendig vom Strand zurückkehrt, ist Tennyson verärgert, hatte er doch schon Verse auf ihren Tod gezimmert. Ihre herzliche Entschuldigung für ihre ausgezeichnete Verfassung lässt er nicht gelten: "Was soll's? Nur ein unsterbliches Gedicht vernichtet - das ist alles." (Er zerreißt sein Gedicht).

Tobias Schwartz hat "Freshwater" ein eigenes kurzes Stück vorangestellt, "Bloomsbury", mit dem wir in die etwas versnobte Akteurs-Clique um Virginia eingeführt werden sollen. Anfangs könnte dies allerdings verwirren, da wir zusätzlich zu den dargestellten Künstlern nun auch noch die sie verkörpernden Schauspieler identifizieren müssen. Dass auf dem Cover der Autorname des Übersetzers über den von Virginia Woolf steht, wirkt etwas befremdlich. Doch gebührt dem Berliner Aviva Verlag Respekt für das ambitionierte Unterfangen. Es ergänzt, um den erfrischenden Witz von Freshwater zu entfalten und die historische Distanz zu überbrücken, das mit seinen 25 Seiten eher kurze Stück durch einen stattlichen Apparat aus Wissenschaft und Dichtung. Nach vollendeter Lektüre blickt man auf neue Bekannte unter den viktorianischen Künstlern zurück. Und auf eine lachende Virginia Woolf. Mitlachen können wir dann auch.

Tobias Schwartz / Virginia Woolf: Bloomsbury & Freshwater. Aus dem Englischen von Tobias Schwartz. Mit einem Nachwort von Klaus Reichert. Aviva Verlag, Berlin 2017. 144 Seiten, 18 Euro.

© SZ vom 14.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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