Drama:Radikal und angepasst

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Das Ende der Welt wird kein Zuckerschlecken: Thomas Cailleys Survival-Trip "Liebe auf den ersten Schlag" zeigt ein Mädchen, das mit extremsten Mitteln trainiert, um gut auf die Apokalypse vorbereitet zu sein.

Von Philipp Stadelmaier

Wer den Namen Madeleine hört, denkt gleich an das zarte französische Süßgebäck, das schon Marcel Proust in die Vergangenheit führte. Oder an die ephemere, gespenstische Heroine in Hitchcocks "Vertigo" - die passive, abwesende Frau, nach der sich der Mann melancholisch zurücksehnt.

Für solche Spielchen hat die Madeleine in "Liebe auf den ersten Schlag" keine Zeit. Adèle Haenel spielt sie körperlich überpräsent: groß, muskulös, burschikos. Denn sie weiß, dass die Apokalypse nah ist, und dass nur die Harten überleben werden. Daher nutzt sie die Sommerferien, um sich zu stählen. Im elterlichen Pool zieht sie ihre Bahnen mit Ziegelsteinen im Rucksack, und zum Frühstück gibt's im Mixer pürierte rohe Sardinen. Das Ende der Welt wird schließlich kein Zuckerschlecken.

Ein Sommercamp der französischen Armee soll ihr helfen, ihr Abhärtungsprogramm zu vollenden. Was ihr dann doch wieder zu viel Komfort bietet. Wie, hier wird in richtigen Betten geschlafen, und es gibt Dessert zum Essen? Madeleine hatte sich eigentlich auf Erdlöcher und rohen Fisch eingestellt. Sowieso verschwendet sie hier nur ihre Zeit, da sie eigentlich zu den Härtesten der Härtesten wollte: den Fallschirmspringern. Im Angesicht der kommenden, von ihr beschworenen Katastrophe (sie nennt Hungersnöte, Umweltkatastrophen, Religionskriege) hilft nur eines: das Erlernen absoluter Autonomie.

Der Film von Thomas Cailley lässt keine Gelegenheit aus, um Madeleines Männlichkeit zu unterstreichen. Vor allem durch Arnaud (Kévin Azaïs), einen jungen Handwerker, der sich in sie verliebt, ohne ihrer Härte viel entgegensetzen zu können. Schon am Anfang, als die Armee Teilnehmer zu ihrem Sommercamp anwirbt, pfeffert sie ihn bei einer Vorführung zu Boden. Danach fährt er sie mit dem Moped durch die Gegend und folgt ihr später zu dem zweiwöchigen Ferienkurs bei den Streitkräften. Während Madeleine autonom und männlich wirkt, nimmt Arnaud in dieser Komödie den "weiblichen" Part ein.

Gleichzeitig aber bleibt Madeleine ganz und gar eine Frau, besonders in den Augen von Arnaud. Die bleiben gerne mal auf ihren Brüsten stehen, besonders dann, wenn sich unter dem regennassen Oberteil die Brustwarzen abzeichnen. Und wenn sie einmal in der Disco sind und sich Arnaud über ihre Jeanshosen lustig macht, versichert sie ihm, sie könne auch "einen auf Schlampe" machen. Um danach mit ihm und anderen Besuchern zur Musik herumzuhopsen, was sie noch zuvor als affig abgetan hat.

Aber nicht nur Madeleines "Unweiblichkeit", sondern auch ihre Vision radikaler Autonomie als einzigem Überlebenskonzept wird irgendwann geopfert. Wenn sie gegen Ende mit Arnaud in der "Wildnis" eines Waldes unterwegs ist, sehnt sie sich bald nach den Vorzügen der Zivilisation und einem leckeren Schokoriegel zurück. Und die Katastrophe, die am Schluss auch tatsächlich eintritt, hat keine wirklich dramatischen globalen Dimensionen.

So propagiert Cailley einen radikalen Individualismus, der (nicht zuletzt dank der Armee) doch wieder in einen totalen Konsens zurückfällt. Am besten zeigt sich das, wenn Madeleine und Arnaud beim Überlebenstraining im Wald in ihren Tarnkleidern farblich mit ihrer Umgebung immer mehr verschwimmen. Einerseits sehen wir Superhelden, die wie die letzten und ersten Menschen überleben lernen wollen; andererseits fade und farblose Wesen, die sich von ihrer Umgebung kaum abheben.

Dieses Schwanken aus radikaler Unabhängigkeit und totaler Anpassung erinnert an den im Februar in Deutschland gestarteten "Girlhood" von Céline Sciamma, die übrigens die Lebensgefährtin der hier so wuchtig aufspielenden Hauptdarstellerin Adèle Haenel ist. Auch dort wurde Virilität zum Mittel der Autonomie und Selbstbestimmung einer jungen Frau, die erst zur Regisseurin ihres eigenen Lebens wurde, um dann doch wieder nur sexuelle und soziale Klischees zu reproduzieren. So zeigt das gegenwärtige französische Kino immer wieder alternative Lebensvorstellungen, an die es aber längst nicht mehr glaubt.

Les Combattants , FR 2014 - Regie: Thomas Cailley, Buch: Cailley, C. Le Pape, Kamera: David Cailley. Mit Adèle Haenel, Kévin Azaïs. Tiberius Film, 98 Min.

© SZ vom 02.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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