Drama:Leuchtende Sehnsucht

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Mit "Lost River" präsentiert der Schauspieler Ryan Gosling sein Regiedebüt - ein Film, in dem man versinken kann.

Von Tobias Kniebe

Wenn es dunkel wird, kommt das Mädchen heim, das sie alle nur Rat nennen. Winkt seiner Großmutter zu, die stumm und reglos im Gerümpel ihres Lebens sitzt und von früh bis spät ihr Hochzeitsvideo anschaut. Geht hoch in sein Zimmer, schaltet seine violette, wie ein Flamingo geformte Neonleuchte an, holt sein Kinder-Keyboard hervor und singt sich selbst ein Schlaflied. Im Haus gegenüber lauscht der Junge, den sie alle nur Bones nennen, und schaut sehnsuchtsvoll auf das Fenster, das sehr violett in der Dämmerung leuchtet.

Es ist nicht schwer, über eine solche Szene zu lachen. Wie überhaupt über die ganze Stimmung von "Lost River" - so traumverloren, verlustversunken, neondurchtränkt und elegisch ist der Film.

Es ist sogar im Grunde die leichteste Übung: Weil der kanadische Schauspieler Ryan Gosling, der hier sein Debüt als Autor und Regisseur gibt, gerade alle Hipness- und Coolness-Sicherungen durchbrennen lässt; weil er und seine weiße Satinbomberjacke aus dem Film "Drive" zu schnell und viel zu mühelos einen Ikonenstatus erreicht haben, der nun wieder heftig nach Demontage verlangt.

Dann aber zu sehen, wie das internationale Kollektiv der Filmjournalisten lemminghaft diesem Zerstörungsdrang folgt, wie es die leichteste Übung zur kritischen Schwerstarbeit erklärt, in Cannes 2014 schon buht und dann draufdrischt, als ob es einen Titanen zu besiegen gälte - das ist dann wirklich ein abstoßendes Schauspiel. Manchmal schämt man sich, Teil dieses Berufsstands zu sein.

Denn als Erstes müsste man doch sehen, dass Ryan Gosling hier völlig ungeschützt in die Arena geht, sich eben nicht hinter dem Panzer seiner Berühmtheit und seiner Satinbomberjacke verschanzt. Sollten nicht alle Debütfilme so sein? Sehnsüchten folgen, in Trauer schwelgen, Neonleuchten anknipsen, virulente Albträume aufspüren, Urängste in bizarre Bilder verwandeln, in die Tiefen des Unbewussten hinabsteigen und - ja, ganz genau - auch einfach mal ein brennendes Fahrrad durchs Bild rollen lassen, wenn dem Regisseur gerade danach ist?

"Hier fühlt sich alles so an, als ob es unter Wasser wäre", sagt Rat (Saoirse Ronan). Dieses Versprechen lösen die Bilder von "Lost River" auch ein. (Foto: Tiberius Film)

All das macht Ryan Gosling in "Lost River". Er folgt einer Stimmung, die ihn überkam, als er einmal die Ruinen von Detroit mit der Kamera durchstreifte, und in diesen Ruinen hat er nun auch gedreht. Bones (Iain De Caestecker), seine Hauptfigur, ist ein Teenager und Schrottsammler in dieser sterbenden Welt, wo die letzten Hypotheken gerade unbezahlbar werden, die letzten Nachbarn wegziehen, die letzten Häuser mit einem "D" für "Destruction" (Zerstörung) markiert werden - auch jenes, in dem er mit seiner Mutter (Christina Hendricks) und seinem kleinen Bruder noch wohnt.

Eines Tages führt Bones' Tour durch einen verfallenen, leer stehenden Zoo, und dahinter folgt er einer Straße, die geradewegs in einem Stausee verschwindet - man erkennt es an der Reihe der verrosteten Lichtmasten, die noch aus dem Wasser ragen. Rat (Saoirse Ronan) wiederum weiß zu berichten, dass dort unten geflutete Städte liegen, ihre Großmutter wohnte einst dort, und der Untergang dieser Häuser hat einen Fluch auf die ganze Gegend gelegt: "Darum fühlt sich hier alles so an, als ob es unter Wasser wäre".

War es vor allem dieses Gefühl, das Ryan Gosling beschwören wollte? Mit den somnambulen Gesten seiner Darsteller, den Bildern seines Kameramanns Benoît Debie, den er sich aus den Nachtstücken von Gaspar Noé geborgt hat, und dem Soundtrack von Johnny Jewel, der im Grunde eine permanente Zumutung ist? Falls ja, dann ist ihm das erstaunlich gut gelungen - er flutet die Leinwand mit seiner Imagination und erweist sich schon darin als ein Filmemacher, auf dessen nächste Arbeiten man gespannt sein muss. Wenn es sie denn, nach der brutalen Zurückweisung durch die Kritiker, noch geben wird.

Der Vorwurf jedenfalls trifft nicht, das alles sei nur Stil und sinnlose Oberfläche, ein durchschaubares Imitat von David Lynch oder Goslings Hausregisseurs Nicolas Winding Refn. Der Figur der Mutter zum Beispiel, die das Haus für ihre Söhne retten will und dafür in einer Art Grand-Guignol-Varieté anheuert, wo Ströme von Kunstblut fließen, um den verlorenen Seelen des Niedergangs die Flucht in Gewaltfantasien zu erlauben, gilt eine genuine, berührende Sorge. Sie wird von Männern verfolgt, die sich wie Wölfe gebärden, und das Gefühl des Sohns, hier als Verteidiger gefragt zu sein, ist offenbar stark autobiografisch. Nur ist es, ganz anders als etwa bei Goslings Leinwandpersona in "Drive", nicht exzessiv gewaltgeladen. Die Rachegeschichten, die ihn groß gemacht haben und das Kino auch sonst im Würgegriff halten, setzt er hier ganz bewusst gerade nicht fort - was das Gegenteil einer kommerziellen Entscheidung ist. Nein, "Lost River " ist genau so, wie ein Debütfilm sein sollte - von Herzen kommend, eigensinnig und ein bisschen verrückt.

Natürlich kann man sich mit Hohn und Sarkasmus dagegen wehren, hier unter die bunt schillernde Oberfläche gezogen zu werden. Viel schöner und spannender aber ist es, sich hineinsinken zu lassen. Denn auf dem Grund des Films warten noch ein paar Geheimnisse - genau wie auf dem Grund des großen Stausees, dessen Fluch vielleicht noch gelöst werden kann.

Lost River , USA 2014 - Regie und Buch: Ryan Gosling. Kamera: Benoît Debie. Musik: Johnny Jewel. Mit Christina Hendricks, Saoirse Ronan, Iain De Caestecker, Matt Smith. Tiberuis Film, 95 Minuten.

© SZ vom 28.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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