Drama:In der Geisterbahn

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Das Flüchtlingsdrama "Babai" spielt am Vortag des Kosovokriegs in den Neunzigern - ist aber auch als Kommentar auf Flucht und Vertreibung heute angelegt.

Von Philipp Bovermann

Der Junge verkneift sich die Tränen, als sein Vater in den Bus steigt, der ihn nach Deutschland bringen soll - weg aus dem trostlosen Kosovo der Neunziger, das bald in einem Krieg versinken wird. Das Drama "Babai" erzählt eine Vater-Sohn-Geschichte aus der Perspektive des zehnjährigen Nori. Er will seinem Vater folgen und setzt sich wenig später auf eigene Faust in den gleichen Bus, mit gestohlenem Geld: Er braucht es für die Schlepper an der montenegrinischen Küste.

Regisseur Visar Morina, selbst ein Geflüchteter, der mit 14 aus Priština nach Deutschland kam, erzählt sein Kinodebüt ohne Effekthascherei und deutet vieles nur an. In welcher Zeit wir uns befinden, erfahren wir nur über spärliche Details, die Geschichte könnte in vielen Situationen spielen, auch heute. Die nervöse Stille in den langen Einstellungen vermittelt die Anspannung am Vortag eines Krieges weit eindrücklicher, als die wenigen Szenen mit Bewaffneten im Kosovo, als Nori und sein Vater noch Zigaretten in der Stadt verkaufen.

Nori (Val Maloku) flieht aus dem trostlosen Kosovo der Neunziger nach Deutschland. (Foto: missing films)

Ungewissheit treibt die Figuren an und prägt die Geschichte. Noris Fluchtgefährtin bei der Überfährt bindet ihn zunächst buchstäblich an sich, nämlich mit ihrem Gürtel, damit der Schlepper ihn nicht zur Ablenkung der Küstenwache von Bord werfen kann, falls diese das Boot entdecken sollte. Man kann es kaum fassen, wie ein Mensch so handeln und trotzdem Mensch sein kann. Der immer wieder durchblitzende Egoismus der Figuren verhindert die Identifikation. Warum sie ihn gerettet habe, fragt Nori seine Begleiterin später. Mitgefühl oder Egoismus? Sie bleibt ihm die Antwort schuldig. Dieses Schwanken zwischen Intimität und Alleinlassen schlägt sich auch in der distanzierten Bildsprache des Films nieder und im Schauspiel. Beim Filmfest München gab es dafür bei der Premiere im letzten Jahr drei Förderpreise: In den Kategorien Regie und Drehbuch für Visar Morina, und für die beiden Hauptdarsteller Astrit Kabashi und Val Maloku.

Immer wieder nimmt Morina den Zuschauer mit knappen Erklärungen an die Hand, um ihn dann wieder plötzlich loszulassen - die moralische Bewertung seiner Figuren lässt er in der Schwebe.

Es gibt in "Babai" keine fiesen Väter, die die Zügel des Bösen in der Hand halten und die Grenzen der Moral überschreiten. Stattdessen: Menschen auf der Flucht vor einem zukünftigen Krieg, aber auch vor einer Vergangenheit, die auch deshalb so schwer wiegt, weil der Film sie ausspart. Was mit Noris Mutter ist, wozu ein Gewehr im Schrank steht - vieles bleibt im Dunkeln, zieht vorbei, wie in einer Geisterbahn, in der einem nichts ins Gesicht springt und die deshalb umso gruseliger wirkt.

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Hinter die Kulissen dieser Geisterbahn dringt der Zuschauer nicht vor. Aber nicht nur die Täter fehlen, sondern auch die Opfer. "Babai" ist ein Flüchtlingsdrama ohne Rückfahrschein, die Figuren bewegen sich unaufhaltsam nach vorne, in eine ungewisse Zukunft - es bleibt ihnen auch nichts anderes übrig als die Flucht nach vorn, notfalls über Leichen. "Wir sind alle schlechte Menschen", sagt Noris Vater an einer Stelle. In einem Park in Deutschland, nach der Überfahrt, bringt er seinem Sohn das Fahrradfahren bei. Schwerelos saust der Junge über das Gras. "Und jetzt probierst du's allein!", brüllt der Vater. Sicher ist am Ende dieses Films nur eins: der Absturz.

Babai , D/F/Mazedonien 2015 - Regie und Buch: Visar Morina. Kamera: Matteo Cocco. Mit: Val Maloku, Astrit Kabashi, Adriana Matoshi. Missing Films, 104 Minuten.

© SZ vom 18.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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