Dokumentation:"Wir sind im Krieg"

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In seinem Dokumentarfilm "Do Not Resist" erzählt der Regisseur Craig Atkinson von Polizeigewalt und grenzenloser Aufrüstungsgier in den USA.

Von Julia Niemann

Der russische Dramatiker Anton Tschechow sagte einst, man solle im ersten Akt kein Gewehr auf die Bühne stellen, wenn man es nicht spätestens bis zum Ende des dritten Aktes abfeuern lässt. Das verlangten die Gesetze der Dramaturgie. Was aber, wenn im ersten Akt schon eine ganze Panzerflotte aufgefahren wird?

Der Dokumentarfilm "Do Not Resist" des amerikanischen Regisseurs Craig Atkinson eröffnet mit beunruhigenden Bildern von den Straßen Fergusons, einer Stadt im US-Bundesstaat Missouri. Dort wurde im Sommer 2014 der unbewaffnete schwarze Teenager Michael Brown von einem Polizisten erschossen. Daraufhin kam es in der Stadt zu wochenlangen, großflächigen Protesten. Der Film zeigt, wie die Polizei in der Nacht mit dem Panzerwagen anrückt und die Unruhen in einem kriegsähnlichen Einsatz mit Tränengas und Blendgranaten zerschlägt.

Selbst in der friedlichen Provinz beschließen Abgeordnete die Anschaffung von Panzerwagen

Der Filmtitel "Do Not Resist", wehre dich nicht - ist das ein Befehl, oder eine Warnung? Es ist erschreckend zu sehen, wie die lautstarken Aufstände in Ferguson im Tränengas erstickt werden. Noch erschreckender aber ist der leise, fast unmerkliche Widerstand in den Gesichtern jener, die längst begriffen haben, dass es klüger ist, sich nicht gegen die Polizei aufzulehnen. Ferguson ist nämlich nur die Spitze des Eisberges.

Regisseur Craig Atkinson macht die Stadt in seinem Filmdebüt zum Ausgangspunkt einer investigativen Reise in die amerikanische Polizeikultur, die tief in ein Land blicken lässt, das auf dem besten Wege ist, ein Polizeistaat zu werden. Etwa bei einer Konferenz des Polizeitrainer-Gurus Dave Grossman, der einem Saal voller Polizisten ihren Job erklärt: "Wir sind im Krieg, und ihr seid an der Front! Wie bekämpft ihr Gewalt? Mit höherer Gewalt! Rechtmäßiger Gewalt! Gewalt ist euer Werkzeug!" Grossman war Offizier an der US-Militärakademie und veröffentlicht seither Bücher wie: "Über das Töten: Der psychologische Preis für das Erlernen des Tötens im Krieg und in der Gesellschaft". Als Polizeitrainer hält er gut besuchte Vorträge im ganzen Land und schwört seine Hörer auf den Kampf gegen das Böse ein.

"Do Not Resist" zeigt eine Polizei, die sich immer stärker militarisiert, und Polizisten, die immer größere Lust auf den Krieg und seine Spielzeuge zu haben scheinen. In winzigen Gemeinden, in denen kaum Kriminalität herrscht, beschließen Abgeordnete die vollkommen irrationale Anschaffung von Panzerwagen und ignorieren alle kritischen Einwände ihrer Bürger. Ein SWAT-Team stürmt bei einer Drogenrazzia mit einer Brutalität in das Haus einer afroamerikanischen Familie, als würde es sich um einen Terroreinsatz handeln. Mit dem Adrenalinrausch eines Militärtrainings zerschlagen sie die Fensterfront des Hauses. Am Ende werden nur ein paar Brösel Marihuana gefunden. Der Sohn der Familie wird trotzdem mit aufs Revier genommen, sein ganzes Geld wird konfisziert und niemand traut sich, wirklich empört zu sein: Der Vater fragt nur vorsichtig nach, wer nun das neue Fenster bezahlen soll? Dabei kennt er die Antwort schon längst. In den Achtzigerjahren gab es 3000 SWAT-Einsätze im Jahr, 2005, vier Jahre nach 9/11, waren es schon 45 000 jährlich. Heute rücken die Sondereinsatzkommandos bis zu 80 000 Mal im Jahr aus.

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Im letzten Drittel des Films gibt Atkinson einen Einblick in die zukünftigen Waffen der Polizeiarbeit. Er zeigt, wie stark die Polizei bereits mit neuen Technologien arbeitet, mit Kameras im öffentlichen Raum, Gesichtserkennungssoftware und Social-Media-Analyse. Und er zeigt den Durst nach Technologien, die Straftaten vorhersagen, bevor sie überhaupt passieren.

Im Wesentlichen, das gibt der Film zu befürchten, hält sich das von Craig Atkinson dokumentierte Amerika klar an Tschechows Gesetz. Wenn das Gewehr ins Spiel kommt, will es auch benutzt werden. Nur wurden in diesem Fall die Schüsse schon am Anfang abgefeuert, sie sind längst zur traurigen Normalität geworden. Die wirklich schweren Geschütze werden gerade erst aufgefahren.

Do Not Resist , USA 2016 - Regie, Kamera: Craig Atkinson. Schnitt: Laura Hartrick, Craig Atkinson. Musik: Grayson Sanders, Michael Stearns. Mit: James Comey, Dave Grossman, Rand Paul. DCM Filmdistribution, 72 Minuten.

© SZ vom 27.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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