Dokumentation:Im Takt der Mauer

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Die Doku "Engelbecken" erzählt von einer dramatischen Liebe zwischen Ost- und Westdeutschland zu Mauerzeiten. Die Regisseure Gamma Bak und Steffen Reck wurden einst von der Stasi verfolgt.

Von Eva Herzog

Die Mauer taktet das Leben der jungen West-Berliner Studentin Gamma Bak im 26-Stunden-Rhythmus: für West-Berliner Bürger ist die Einreise in die DDR im Jahr 1987 von null Uhr des einen Tages bis zwei Uhr morgens des nächsten Kalendertages erlaubt. Diese Stunden gehören ihr und dem Ostberliner Theaterkünstler Steffen Reck. Dazwischen fährt sie nach Hause, um zu waschen, Seminare zu besuchen - und um Geld zu besorgen für den nächsten Besuch. Von Anfang an verfolgt die Stasi diese Liebesbeziehung. Umso mehr, weil der DDR-Bürger Reck in der experimentellen Theatergruppe Zinnober spielt, deren progressive Inszenierungen ihr verdächtig erscheinen. Schließlich bleibt ihnen nur die Ausreise.

Eine große Liebe gegen ein Unrechtsregime, über Stacheldraht und Grenzschutzanlagen hinweg, das böte Stoff für rührselige Romantik und deutsch-deutsche Nostalgie. Doch so erzählen die Filmemacher Steffen Reck und Gamma Bak nicht von ihrer Beziehung. Steffen Reck zerbricht beinahe an Enge und Überwachung. Er wird zunehmend depressiv, trinkt viel und geht kaum noch aus dem Haus. Die Teilnahmslosigkeit mancher seiner Theaterkollegen, die als Zeitzeugen befragt werden, lässt ahnen, wie isoliert er war. Selbst die vermeintlich erlösende Ausreise bringt nur bedingte Besserung, kämpft Reck doch mit dem tief verinnerlichten Vorwurf, Freunde und Republik als Verräter verlassen zu haben. Der Film zeigt anhand von Interviews mit dem Umfeld Recks, dass diese Fragen auch heute noch für Zündstoff sorgen.

Der Dokumentarfilm erzählt nicht linear, sondern webt ein assoziatives Netz: Dokumente der bürokratischen Überwachungsmaschinerie laufen zu tiefen Basslinien vorbei. Man kann mitlesen und miterleben, wie kleinteilig die bürokratischen Mühlen mahlen. Zeithistorische Filmausschnitte werden übereinander geblendet, man sieht Türme der Mauerbefestigung und beschaulichen Jahrmarktstrubel der DDR in Originalaufnahmen. Fotos, Ausschnitte aus Theaterstücken und Gespräche mit Zeitzeugen aus dem Umfeld des Paares ergänzen die Montage. Die Abfolge der Bilder, häufig kommentarlos oder mit unbenannten Stimmen aus dem Off, fordern dem Betrachter viel Einfühlungsvermögen ab. Doch gerade hierdurch wird eine düster-lähmende Stimmung vermittelt, wird die diffuse Bedrohung greifbar, wie sie wohl nicht nur die beiden Filmemacher empfunden haben. So entsteht ein eindrückliches Dokument persönlich erlebter Geschichte.

Engelbecken , Deutschland 2015 - Regie, Buch, Kamera: Gamma Bak, Steffen Reck. GMfilms, 82 Minuten.

© SZ vom 03.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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