Die Kapelle in Vence:Ein Meisterwerk für die Schwester

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Henri Matisse pflegte jahrelang die Freundschaft zu seiner Nachtschwester, für die er später die Chapelle de Rosaire gestaltete.

Von Johanna Pfund

Nach Vence muss man erst einmal finden. Ein gewundenes Sträßchen zieht sich steil hinauf in die Berge, schnell ist der Trubel der Côte d'Azur vergessen. Und ausgerechnet hier oben, weder in Paris noch in Nizza, noch in einem großen Museum findet sich das, was Henri Matisse selbst als sein Meisterwerk bezeichnete. Die Chapelle du Rosaire zeigt sich von außen als unauffälliges, kleines weißes Gebäude. Lediglich das Kreuz auf dem Dach mit plakativen Mustern aus goldenen Halbmonden fällt auf. Sie ist ein Hinweis auf das, was sich im Inneren findet: ein später Matisse. Stilisierte Pflanzenornamente entfalten sich auf den bunten Glasfenstern, skizzenhafte Wölkchen und Blumen umschweben die mit wenigen Strichen angedeutete Madonna auf den Fliesen an der Wand.

In Nizza sucht die junge Monique Arbeit und findet sie als Nachtschwester bei Matisse

Die Kapelle ist das Resultat einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen dem arrivierten Maler und einer jungen Nonne. Das heißt, zunächst ist Monique Bourgeois einfach eine unter Zahllosen, die der Krieg entwurzelt. Mit ihrer Familie muss sie 1939 aus Metz flüchten, schließlich kommt sie ihrer Gesundheit wegen nach Nizza. Dort sucht sie Arbeit und findet sie. Der Maler Henri Matisse sucht eine Nachtschwester, jung und hübsch soll sie sein. Ist sie das? Nein, findet sie. Egal, Monique nimmt die Arbeit an, und in den langen Nächten des Wachens entwickelt sich eine ungewöhnliche Freundschaft. Eines Tages ruft Matisse an: "Wollen Sie heute Nachmittag Modell sitzen, bezahlt, selbstverständlich?" Nach einem Zögern, ein Ja. " Monique " und " L'Idole " entstehen nach Sitzungen im Dezember 1942. Und das obwohl die 21-Jährige den Maler durchaus herausfordert, als sie, die selbst gerne zeichnet, fragt, warum er denn nicht nach der Natur male, wie die alten Meister. Seine Antwort: "Damals gab es die Fotografie noch nicht. ... Drei Elemente müssen in die Komposition eines Gemäldes einfließen: der Maler, das Modell und das Gefühl, das es ihm vermittelt."

Modell und Krankenschwester, das ist jedoch nicht alles für die junge Frau. Sie beschließt, dem Dominikanerorden beizutreten. Matisse, der immer Kontakt zu ihr hält, ist nicht gerade erfreut. Letztendlich muss sie ihm versprechen, ihn niemals zu vergessen und viel für ihn zu beten. Versprochen. Am 8. September 1944 nimmt Monique den Schleier, sie wird zu Schwester Jacques-Marie und lebt zunächst in Monteils, dann in Vence nahe Matisses Villa Le Rêve.

Die Sache mit der Kapelle kommt während einer Nachtwache für eine verstorbene Mitschwester ins Rollen. Schwester Jacques-Marie zeichnet in dieser Nacht einen Entwurf für die immer noch nicht gebaute, aber lange geplante Kapelle des Konvents in Vence. Sie zeigt die Skizze Matisse - und damit ist für ihn die Sache entschieden. Nun muss die Oberin überzeugt werden, und das gelingt einem jungen Dominikanerbruder, dem Frère Rayssiguier, der als Architekt fungieren soll. Im Januar 1948 sind seine Pläne fertig, im Frühjahr 1948 stürzt sich Matisse in die Arbeit. Wobei die Freude darüber bei den Schwestern nicht ungetrübt ist - würde man in einer so modern gestalteten Kapelle beten können? Und dann muss auch die Generaloberin noch ihren Segen geben. Irgendwie gelingt alles, Matisse hat Freunde. Und er liebt das Werk. "Wir werden eine Kapelle haben, in der jeder hoffen kann."

Im Detail ist es nicht leicht: Matisse hat auf die Mitarbeit von Sœur Jacques-Marie gehofft, doch deren Oberin versagt dies. Eine andere Helferin wird gefunden. Das Modell für die Madonna soll ein Kind sein, die Keramikfliesen, auf denen sie zu sehen sein wird, müssen ein bestimmtes Weiß haben, das die Farben der Glasfenster spielend aufnimmt. Matisse wählt diese sorgfältig aus, ein besonderes Gelb, ein reines Grün. Der Effekt ist heute der, den sich der Maler erhofft hatte: Die Farben des Lebensbaumes auf den Glasfenstern spielen auf dem Weiß der Keramikfliesen, auf dem der Heilige Dominikus mit wenigen schwarzen Strichen gezeichnet ist, ein Kopf ohne Gesicht, so wie auch die Madonna ohne Gesichtszüge ist. Am 25. Juni 1951 wird die Kapelle geweiht, das Meisterwerk.

Sœu r Jacques-Marie: Henri Matisse. La Chapelle de Vence. Bernard Chauveau, Paris 2014

© SZ vom 13.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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