Die geheimen Bunker der Schweiz:Bilder aus dem Untergrund

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Fast wie im nahen Hotel "Stern und Post", nur ohne Fenster und dafür bombensicher: Ein Schlafzimmer in dem unterirdischen Schweizer Bundesratsbunker. (Foto: Armeefotodienst, Bern/Verlag)

Die Schweiz bereitete sich im Kalten Krieg auf den "Ernstfall" vor, indem sie eine Stadt unter der Erde errichtete. In die Zivilschutzbunker des Landes hätten 115 Prozent der Bevölkerung gepasst.

Von Charlotte Theile

Schon auf der ersten Seite führt eine Treppe ins Dunkle, ob hinab oder hinauf ist nicht ganz klar. Von der Decke strahlen superhelle Lampen, aber das hilft wenig. Man fühlt sich unbehaglich und würde das Buch am liebsten gleich wieder zuklappen. Doch kaum ist es zu, nimmt man es wieder in die Hand und blättert sich ins Innere dieser irgendwie ungemütlichen Welt vor. Die Geschichte beginnt in der Innerschweiz, im Kanton Uri, genauer gesagt: im Hotel "Stern und Post" in Amsteg. Eine alte Frau entkorkt einen Bordeaux, ein "Jahrgang mitten aus dem Kalten Krieg". Dann erzählt sie von einer Zeit, in der der Krieg der Schweiz ganz nahe zu kommen schien: den 1940er-Jahren. Ein paar Sätze später ist man unter der Erde. Beziehungsweise: im Berg. Dort, wohin sich den Gerüchten zufolge alle Schweizer im Angriffsfalle zurückziehen könnten, dort, wo Goldbarren, Kunstwerke, Uhren, Wasserwerke, gescheiterte Atomkraftwerke und ganze Untergrundarmeen lagern sollen. Von den unzähligen, zum Teil nur halb fertiggestellten Verkehrstunneln ist da noch gar nicht die Rede. Das dünne Buch mit dem Titel "Die Schweiz unter Tag. Eine Entdeckungsreise" ist so voll von unglaublichen Fakten, dass selbst die absonderlichsten unter ihnen kaum mehr auffallen. Wer Partygespräche gerne mit "Wussten Sie eigentlich" beginnt, findet hier unendlich viel Material.

Wer die Schweiz verstehen will, der kommt nicht an ihrer Unterwelt vorbei

Wussten Sie eigentlich, dass die Schweiz in den 1950er-Jahren einen Atomreaktor unter der Erde errichtete? Dass man sogar an einer eigenen Uran-Bombe forschte? Dass es im unterirdischen Atomreaktor schließlich zu einer Superpanne kam, inklusive Kernschmelze? Wussten Sie, dass sich die Schweiz im Kalten Krieg so intensiv auf den "Ernstfall" vorbereitete, dass man sogar eine Stadt unter der Erde errichtete? Dass in den Zivilschutzbunkern des Landes 115 Prozent der Bevölkerung Platz finden würden? Und: Wussten Sie, wie viele Minenarbeiter bei den Expeditionen ins Innere der Alpen ihr Leben ließen? Die Liste ließe sich noch lang fortsetzen. Zu den lebendigeren Geschichten des Buches gehören die Geschichten aus der großen Politik. Der Bundesratsbunker, geplant in den Jahren des Zweiten Weltkriegs und unweit des Hotels Stern und Post errichtet, zeigt besonders eindrücklich, wie die Landesverteidigung der Schweiz in dieser Zeit ablief: Gemälde mit historischen Schlachtszenen und Boulevardzeitungen.

Nachdem eine Testeinheit aus Sekretärinnen tatsächlich in dem Bunker gelebt hatte, war von "Atembeklemmungen", Abgasen und moderiger Feuchtigkeit die Rede. Diese Beklemmung zieht sich durch das Buch, selbst dort, wo es nicht feucht und schimmlig ist, sondern trocken wie Granit - eine der undankbarsten Substanzen, die man beim Graben in einem Berg antreffen kann, "hart und spröde, springt wie Glas". Noch schlimmer ist nur der Kieselkalk, "hart und zäh. Sehr zäh". Auch der Autor, Jost Auf der Maur, scheint am Schluss irgendwie froh zu sein, dass es vorbei ist und er wieder über der Erde weilt. Wann immer er ans Tageslicht kam, sei ein "metaphysisches Gewicht" von ihm abgefallen, er habe sich nie an den Untergrund gewöhnen können. Und doch wollte er immer wieder hinunter, "denn die unterirdisch gebaute Welt ist typisch für die Schweiz, ein eigenartiges Merkmal unerhörter Dimension." Man könnte auch sagen: Wer die Schweiz verstehen will, kommt an dieser seltsamen Unterwelt nicht vorbei.

Jost Auf der Maur: Schweiz unter Tage. Echtzeit Verlag, Basel 2017. 144 Seiten, 29 Euro.

© SZ vom 26.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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