"Die Frau des Obersts":Eine widerwärtige Liebe

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Rosa Liksom erzählt in ihrem jüngsten Roman aus einem Frauenleben in Finnland zur Nazizeit, sie schildert ein Leben voller Rührseligkeit, Naturverbundenheit und Hass.

Von Tobias Obermeier

Dieses Buch ist voller Ekel, obszön, brutal, kitschig. Es verstört und verwirrt mit einer fiktiven Liebesgeschichte zweier finnischer Nationalsozialisten in den Jahren vor und während des Zweiten Weltkriegs. Wie soll man nicht davon angeekelt sein zu lesen, wie diese Menschenverächter "im Schein des zunehmenden Mondes bis zum frühen Morgen fickten"? Dass "Deutsch die Sprache ihrer Liebe" war und diese Liebe "mit dem Funkenregen des Polarlichts" um die Wette sprühte.

"Die Frau des Obersts", der jüngste Roman der finnischen Autorin Rosa Liksom, wirkt zunächst wie schmalzig aufgeladene Naziromantik um der reinen Provokation willen und erinnert im Ansatz an Jonathan Littels erfundene Nazi-Biografie "Die Wohlgesinnten" (2006). Der Roman spaltetete die Literaturkritik, die einen bezeichneten Littels Geschichte eines fiktiven SS-Obersturmführers als pornografisch-monströses Machwerk, die anderen sahen ein eindrucksvolles Buch über Nazismus darin. Auch Takis Würgers umstrittener Liebesroman "Stella" kommt einem in den Sinn, der ihm den Vorwurf eintrug, aus Lust am Schockieren die Nazi- und Holocaustvergangenheit auszubeuten.

Liksoms Roman ähnelt beiden Büchern, geht aber in eine andere Richtung. Die Geschichte ist in vielen Momenten derb und abstoßend, stellt aber weder den Holocaust zur Schau, noch fiktionalisiert sie eine historische Person, wie es bei Takis Würger der Fall war. Liksom konzentriert sich auf die Erfahrung von Gewalt und Unterdrückung rein im Privaten. Sie lässt eine namenlose Frau auf ihr Leben zurückblicken und von der Kindheit im idyllischen Lappland erzählen, ihrem streng konservativen Vater und ihrem fast dreißig Jahre älteren Ehemann, der sie zur überzeugten Nationalsozialistin macht.

Ein Leben voller Rührseligkeit und Naturverbundenheit, das zugleich von ungehemmter Gewalt, Hass und Unterdrückung bestimmt ist. Ihr Vater schlägt sie als Kind mit dem Holzstock bis sie blutet, ist aber noch gnädig im Gegensatz zur Mutter. Der Oberst, ein enger Kamerad des Vaters, ist ein übler Tyrann, vor dem selbst die Familie warnte. Sie verliebt sich trotzdem in ihn und ordnet sich dem herrschsüchtigen Peiniger unter, gehorcht ihm in allen Belangen. Die Faszination des Romans besteht in diesem irritierenden Spannungsfeld aus Ideologie, Liebe und Gewalt.

Mit der Niederlage des Dritten Reichs kommt das Monster in ihm zum Vorschein

Rosa Liksom ist im skandinavischen Raum keine Unbekannte. Ihr voriger Roman "Abteil Nr. 6" wurde mit dem Finnland-Preis, Finnlands wichtigstem Buchpreis, ausgezeichnet. Vor wenigen Wochen erhielt sie von der Schwedischen Akademie den Nordischen Preis für ihr Gesamtwerk. Neben ihrer Arbeit als Schriftstellerin ist sie Malerin, Performancekünstlerin und Comic-Autorin. Mit "Die Frau des Obersts" denkt sie sich zurück in ihre lappländische Heimat im Norden Finnlands. Es ist ein Roman, der von den schweren gesellschaftlichen Konflikten erzählt, die Finnland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts tief prägten, von der Spaltung in die "weißen" Nationalisten und die "roten" Kommunisten nach der Unabhängigkeit Finnlands 1917 und dem Bürgerkrieg, der Kollaboration mit Deutschland, den grausamen und verlustreichen Kämpfen während des zweiten Weltkriegs.

Der Oberst steht als ranghoher Kriegsführer mitten in diesen Ereignissen. Liksom bringt ihre fiktiven Figuren in eine historisch reale Umgebung: Der Reichsminister Adolf Speer bekommt ebenso einen Kurzauftritt wie Adolf Hitler, der mit seinem "kümmerlichen Wuchs" und "Säuglingsbauch" das idealisierte Bild des großen Führers zerstört.

Solange die Deutschen Erfolge im Krieg verzeichnen, hält sich die unerklärliche Liebe zum Oberst aufrecht. Erst, als sich mit der Niederlage des Dritten Reichs dessen Illusionen des reinen, unfehlbaren Deutschtums auflösen, kommt das Monster in ihm, das seine Frau halb tot schlägt, richtig zum Vorschein.

Liksom schafft es durch eine Sprache, die in starkem Kontrast zur beschriebenen Gewalt steht, eine permanente Unruhe entstehen zu lassen. Sie beschreibt das lange Leben ihrer Hauptfigur auf der einen Seite nüchtern und abgeklärt: "Mein Vater machte mich zu einer Tochter des weißen Finnlands, der Oberst zu einer Nationalsozialistin. Für beides schäme ich mich nicht." Dagegen setzt sie eine obszönen Übersteigerung: "Der Oberst sagt, bei keiner Frau rieche die Möse so gut wie bei mir, und hielt auf Deutsch um meine Hand an, während er seinen Schwanz am geblümten Vorhang abtrocknete." Man kämpft mit widerstreitenden Signalen, möchte die Frau verstehen, schafft es aber nicht. Mehrmals wiederholt die Ich-Erzählerin, wie überzeugt sie ideologisch gewesen ist, und dass sie von den Gräueltaten wusste, die verübt wurden. Wenn sie auch nicht selbst Verbrechen begangen hat, war sie doch Komplizin der Nazi-Schergen. Und zugleich das Opfer eines Wahnsinnigen, mit dem sie eine ungestüme Liebesgeschichte verbindet, bis er sie in die Psychiatrie prügelt.

Liksom schreibt damit ein Buch über Ideologie, ohne sie analysieren zu wollen. Sie sucht nach Erklärungen ohne zu psychologisieren. Es scheint ihr in dieser übertrieben kitschigen und brutalen Erzählung vielmehr darum zu gehen, ein krankhaftes Abhängigkeits- und Unterwürfigkeitsverhältnis zu zeigen. Der Nazismus bereitet dem den Boden.

Als die Grässlichkeit des Obersts selbst für den Leser nicht mehr erträglich ist, findet die Frau einen Weg aus ihrer Abhängigkeit. Soll sie am Ende für ihre Komplizenschaft verachtet oder für ihre späte Befreiung bewundert werden? Dass sich diese Frage schwer beantworten lässt, ist die große Stärke des Romans.

Rosa Liksom: Die Frau des Oberst. Roman. Aus dem Finnischen von Stefan Moster. Penguin, München 2020. 224 Seiten, 20 Euro.

© SZ vom 23.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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