Deutscher Alltag:Blase leer

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Im modernen Leben gibt es kaum Schlimmeres als für einen Zauderer gehalten zu werden: Geschäftsführer wollen Verträge schnell kündigen und Bereichschefs fix zum Segeln gehen. Nachdenken ist keine erwünschte Führungseigenschaft mehr.

Kurt Kister

Wer wenig zu sagen hat, dies aber sehr gerne tut, der ist der ideale Gast für eine Talkshow. Wer sich eigentlich nicht besonders ausdrücken kann, dafür aber gut kocht, malt oder singt, verfasst ein Buch, am besten über sich. Und wer es den Idioten von der Partei, dem Finanzamt oder der Zeitung endlich mal richtig hinreiben will, der bloggt oder schreibt eine E-Mail.

Nie war es so leicht wie heute, im großen Stil Menschen zu beleidigen - und zurück beleidigt zu werden. (Foto: SZ-Collage)

Dank des Netzes ist es heute so leicht wie niemals zuvor, Menschen, deren Elektro-Anschrift man kennt, direkt zu behelligen oder zu beleidigen. Und wahrscheinlich wurden noch nie so viele Menschen so schnell wieder zurück beleidigt.

Es ist sonderbar. Sobald man auf dem Schirm so eine Mitteilung liest, in der irgendein Tropf einen der Unfähigkeit zeiht, der Lüge beschuldigt oder darüber klagt, dass er ungerechterweise immer noch keine Gehaltserhöhung bekommen hat, möchte man sofort zurückschießen.

Manchmal tut man es in einer Stimmung, die der Amerikaner the heat of the moment nennt. Das ist kurzzeitig erleichternd, ungefähr so, wie wenn man nach schwerer Verdrückung die Blase leeren kann. Andererseits kann es üble Folgen nach sich ziehen, weil die Schnelligkeit einer Antwort, auch einer Entscheidung, häufig mit der Vernunft und hin und wieder sogar mit dem Anstand kollidiert.

Nun scheint die gute alte Regel, man solle über dies und das erst einmal eine Nacht schlafen, längst außer Kraft gesetzt zu sein. Wer nachdenkt, der gilt bei denen, die dem Nachdenken eher distanziert gegenüber stehen, als Zauderer. Und wer dann noch widerspricht, der ist nicht nur ein Zauderer, sondern auch noch ein Querulant.

Im modernen Leben, zumal in der Wirtschaft, gibt es kaum etwas Schlimmeres, als für einen querulatorischen Zauderer gehalten zu werden. Geschäftsführer wollen Verträge schnell kündigen, Abteilungsleiter sofort entscheiden und Bereichschefs möchten nicht nachdenken, sondern - zack, zack - den Businessplan abzeichnen und dann zum Segeln gehen. Nachdenken ist keine erwünschte Führungseigenschaft mehr.

Wenn mal jemand einen Fehler macht, und sei es ein Gremium hochwohlmögender Menschen, dann muss im Sinne der Blitzaktionstheorie entweder der Fehler behoben oder, sollte dies nicht möglich sein, wenigstens die Ursache des Fehlers beseitigt werden.

Zeichnet zum Beispiel eine Jury einen Maler aus, der gar keine richtige Kunst gemacht hat, sondern nur ordentliches Kunsthandwerk, obwohl die Jury der festen Überzeugung war, er sei ein Künstler, dann gibt es, zack, zack, eine Sitzung im Internet, in der dem Künstler mitgeteilt wird, dass er in Wirklichkeit nur ein Anstreicher sei. Ob es stimmt, ist wurscht. Hauptsache, es geht schnell.

© SZ vom 14.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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