Deutsche und Türken:Melange der Gefühle

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Zwei Blickwinkel, ein Problem: Can Dündar staunt im Exil in Berlin über Erdoğan-Fans, Hülya Özkan warnt vor einer weiteren Eskalation des Konflikts mit Ankara.

Von Christiane Schlötzer

Wer aus der Türkei kommt oder dort länger gelebt hat, der weiß, dass ein Handy kein guter Geheimnisträger ist. Can Dündar, der Ex-Chefredakteur der türkischen Oppositionszeitung Cumhuriyet, hat sich deshalb in Deutschland ein neues Handy besorgt. Nun, es hat wenig genutzt. In Berlin, wo Dündar jetzt aus Gründen der eigenen Sicherheit lebt, wird er mit Leichtigkeit geortet. "Landesverräter" brüllt ihm ein Unbekannter auf der Straße entgegen, auf Türkisch, und auf Twitter gibt es dazu das Foto, das zeigt, wo der "Staatsfeind" gerade sitzt: auf einer Parkbank oder im Café Einstein Unter den Linden. "Angst ist ein menschliches Gefühl", man dürfe sich von ihr aber nicht überwältigen lassen, schreibt Dündar, "nicht kapitulieren". Gar nicht so einfach.

Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei ist so angespannt wie seit Jahrzehnten nicht; das bekommen auch Menschen wie Dündar zu spüren, die hier vor Verhaftung oder Schlimmerem Zuflucht suchen. Wie ernst die Lage ist, zeigt der tägliche Nachrichtenstrom aus der Türkei. Da darf etwa ein landesweit bekannter Krawalljournalist Dündar und dessen Kollegen von der Cumhuriyet ungestraft entgegenschleudern: "Ihr werdet krepieren, ob auf dem Rechtsweg oder auf anderen Wegen." Fehlt noch die Stimme von ganz oben: Recep Tayyip Erdoğan nennt Dündar einen "Terroristen-Kolumnisten-Schlappschwanz" und fragt, als wüsste er den Grund dafür wirklich nicht: "Warum bist Du davongelaufen?" Ein türkischer Staatsanwalt will den Journalisten nun per Interpol-Haftbefehl zurückholen lassen.

"Erdoğan wird eines Tages gehen, aber die meisten Türken werden bleiben."

Im Tagebuchstil erzählt Dündar in seinem neuen Buch von einem Leben im Exil, von der Verunsicherung und der Einsamkeit des Heimatvertriebenen (seiner Frau wird weiterhin die Ausreise verwehrt), von der Enttäuschung über den Verlust von Freunden und Vertrauten, die sich aus Angst um das eigene Leben oder Fortkommen abwenden. Er berichtet aber auch von Euphorie über unerwartete Anerkennung, Auszeichnungen und neue publizistische Möglichkeiten: Mit anderen Exilanten hat Dündar das Internetmedium Özgürüz (Wir sind frei) gegründet, auf Türkisch und Deutsch. Wie schon in seinem Gefängnistagebuch ("Lebenslang für die Wahrheit") mischt er auch in "Verräter" politische Analysen und Auskünfte über persönliche Seelenzustände. Der 56-Jährige schont sich dabei nicht, er spricht über Selbstzweifel, bisweilen gleitet er ins Sentimentale ab, kehrt dann aber immer wieder zum alten Kampfgeist zurück, zum Stolz auf die verbliebene, stark geschrumpfte Opposition zu Erdoğan, so als müsse er sich selbst am Riemen reißen. Das erinnert an die Selbstaufmunterung der SPD.

Mit Erstaunen aber registriert Dündar, dass der türkische Präsident über so viele glühende Verehrer unter Deutsch-Türken verfügt, das war ihm früher offenbar nicht bewusst. Diese sehr spezielle Fan-Gemeinde beschäftigt auch die Journalistin Hülya Özkan, die als Kind türkischer Gastarbeiter Mitte der Sechziger-Jahre nach Deutschland kam und heute in Mainz lebt. Özkan schreibt aus langjähriger Kenntnis der türkischen Milieus in Deutschland, und sie schickt voraus, dass es sich hier bei den Erdoğan ergebenen Türken trotz aller Lautstärke um eine Minderheit handelt. Aber die Autorin warnt: Die deutsch-türkischen Abneigungen und das gegenseitiges Unverständnis können sich leicht noch weiter hochschaukeln. Sie sieht die Schuld dafür nicht allein in Ankara, "zu viel Populismus auf beiden Seiten" vergifteten das Klima. Sie zitiert aus Hassbotschaften, die in Deutschland lebende Türken auch via Social Media erreichen, aus einem deutschen antimuslimischen, rassistischen Wutbürgertum. Sie berichtet von den Ängsten und der Verunsicherung, die bei vielen Türken nach den NSU-Morden blieben, für die fahrlässig lange die Verantwortung in den Familien der Opfer gesucht wurde. Eine "Mischung aus Verschwörungstheorien und Opferhaltung setzt nationale Emotionen frei", und diese Gefühlsmelange werde von Erdoğan perfekt genutzt, warnt Özkan. Gegen Gefühle von Abwertung und Angst setzt Erdoğan Stolz und Stärke.

Ein Rezept, das offenbar funktioniert. Auch einer wie Dündar wird da zur Projektionsfläche, zum perfekten Feindbild, zum Verräter eben. Özkan schreibt im Gegensatz zu Dündar fast emotionslos, sie schildert im ersten Teil von "In Erdoğans Visier" die aktuelle Lage in der Türkei, im zweiten die der Türken in Deutschland, überwiegend abgewogen, nüchtern, bilanzierend. Schwere Versäumnisse sieht sie, ähnlich wie Dündar, auch auf Seiten der EU. Als die Türkei - unter Erdoğan - vor einigen Jahren noch auf Reformkurs war, hätten europäische Politiker den türkischen Modernisierungsweg zu wenig gewürdigt, kaum unterstützt. Dündar kritisiert zudem, nach dem Flüchtlingsabkommen sei vor allem Deutschland gegenüber Erdoğan lange Zeit viel zu zurückhaltend aufgetreten, erst in jüngster Zeit habe sich das geändert.

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Can Dündar: Verräter. Von Istanbul nach Berlin. Aufzeichnungen im deutschen Exil. Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe. Verlag Hoffmann und Campe Hamburg 2017. 192 Seiten, 20 Euro. E-Book: 15,99 Euro.

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Hülya Özkan: In Erdoğans Visier. Warum er die Deutschtürken radikalisieren will und was das für uns bedeutet. Verlag Droemer Knaur München, 2017. 192 Seiten, 12,99 Euro. E-Book: 10,99.

Özkan empfiehlt, die deutsche Politik sollte den Deutsch-Türken klar machen, dass sie zu diesem Land gehörten. "Wer den inneren Frieden will, wer nicht will, dass die Erdoğan-Fangemeinde in Deutschland weiter anwächst und sich radikalisiert", müsse auch um diesen Teil der Gesellschaft werben, und diesen Leuten aber gleichzeitig die Grenzen der rechtsstaatlichen Toleranz aufzeigen. "Denn Erdoğan wird eines Tages gehen, aber die meisten Türken werden bleiben."

Die Aufzeichnungen Dündars, der sich immer als noch als einen Optimisten bezeichnet, enden mit dem Satz, der wohl als Ermunterung gedacht ist, denn er ist in Großbuchstaben gesetzt: "Das ist noch nicht das Ende."

Das könnte auch ein passendes Fazit nach der Lektüre der beiden so unterschiedlichen, leicht lesbaren schmalen Bücher sein: Es gibt kein Ende, auch wenn das deutsch-türkische Verhältnis noch so schlecht ist, und es vielleicht sogar noch abgründiger wird. Denn eines ist gewiss: Gleichgültigkeit ist zwischen Deutschland und der Türkei schlicht nicht möglich.

© SZ vom 10.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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