Deutsche Literatur:Schwalbenschrift

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Klaus Modick hat einen Roman über den immer halb vergessenen Eduard von Keyserling geschrieben, der sich in Spiralen um die Frage dreht, weshalb sich Keyserling einst von Lovis Corinth als kranken Mann malen ließ.

Von Franziska Augstein

Eduard von Keyserlings Romane stehen heute nicht mehr auf dem Stundenplan. Was er beschrieb, war zu seiner Zeit schon so gut wie untergegangen. Und der Erste Weltkrieg machte der Salonliteratur den Garaus. Zwar schilderte Keyserling die allfälligen Nöte des Herzens, aber seine Empfindsamkeit entfaltete sich umweht von Mousseline-Taschentüchern; und Glacéhandschuhe gehörten sozusagen zur Arbeitsuniform seiner Protagonistinnen - perdu. So gut wie verloren ist auch der zarte Umgang mit der modernen deutschen Sprache, wie er um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert üblich war. Keyserling hätte sich eher die Kugel gegeben, als in einer erotischen - bei ihm selbstredend platonischen - Liebesszene Wörter wie "Brustwarze" oder "Nippel" aufzufahren. (Dieses Problem hat Thomas Mann gelöst, indem er im "Zauberberg" das Bild der idealisierten Frau in einem leichten, womöglich nassen Kleid übersprang und gleich zum Röntgenbild von Clawdia Chauchats Lunge wechselte.)

Mit größter Begeisterung ist hier ein Roman anzuzeigen, der Keyserlings Werken sprachlich nicht nachsteht: Klaus Modick ist bekannt als jemand, der sehr fürsorglich und fantasievoll mit der Sprache umgeht. In seinem neuen Roman "Keyserlings Geheimnis" hat er sich, wenn das möglich ist, selbst übertroffen. Wir, die Leser, werden verschickt in eine versunkene Welt, wo Hummeln durch die Vormittagssonne "bummeln", wo es im Gebüsch raschelt, "als würde Papier zerknüllt", wo gegen Abend "Dunkelheit durch den Garten schleicht". Und wo Schwalben "ihre schnellen Schriftzüge in den Himmel kritzeln".

Überhaupt waren die Sommer, mit Modick (und dem französischen Dichter Jacques Prévert) gesagt, früher schöner und heißer: als alle noch ganz jung waren.

Keyserling nimmt sein Schicksal an: "Sein zu wollen, was man nicht ist, ist vulgär."

Das Früher hat Modicks Keyserling lange hinter sich gelassen. Vom elterlichen Adelsgut im Baltikum interimsweise verstoßen, fühlte er sich dann aber in Wien und in München ganz gut aufgehoben. In Schwabing geht in den Kneipen ein und aus, was mit Esprit begabt ist, darunter die Autoren Frank Wedekind und Max Halbe, der Maler Lovis Corinth und eben Keyserling. Mit viel Witz erfindet Modick Diskussionen, die - vom Alkohol befeuert - neue Ideen in die Welt setzen. Wie sei der gesellschaftlichen Herabsetzung von Huren beizukommen? Ganz einfach: Alle Ehemänner sollten ihren Frauen Geld für den Beischlaf zahlen. Wie das denn gemessen werde, fragt dann einer, mit einem "Taxameter"?

Eduard von Keyserling ist kein glücklicher Mann. Eine Aufgabe im Leben sieht er auch darin, seiner Umgebung nicht mit seinen Leiden auf die Nerven zu gehen. Frühzeitig hat er sich die Syphilis angelacht, die zu dieser Zeit nicht heilbar ist. Er hat Pusteln auf der Haut, sein Augenlicht erlischt zunehmend, seine Wangen sind eingefallen. Die Kur mit dem giftigen Quecksilber macht es nicht besser. Und da kommt nun Corinth und sagt: Er wolle ein Porträt von Keyserling anfertigen. Dieses Porträt - es hängt in der Neuen Pinakothek in München - zeigt einen erschreckend kranken Mann. Es ist das Gegenstück zu Oscar Wildes "Das Bildnis des Dorian Gray". Wildes Figur will seine Jugend bewahren und ausnutzen. Keyserling nimmt sein Schicksal an. Denn, so denkt er: "Sein zu wollen, was man nicht ist, ist natürlich vulgär."

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Modicks Roman kreist in Spiralen um die Frage, warum Keyserling sich in seinem Zustand hat malen lassen. Modicks Keyserling war einstens verliebt, worüber er nicht reden darf und will. Es schickt sich nicht. Er will ehrenhaft bleiben, auch in Gegenwart der Schwabinger Zechgenossen, weshalb das weite Feld der Sehnsucht nach früheren Zeiten ihm offensteht. Nicht um Nostalgie geht es Modick, sondern um die Selbstbemeisterung im Elend, die sein Keyserling mit Humor und philosophischer Abgeklärtheit erträgt. Entsprechend weise und lustig muss dieser Keyserling reden. Und siehe, es gelingt ihm, es gelingt Modick. Etliche unaufdringliche Anspielungen gibt es in seinem Roman, etwa auf Günter Grass, Theodor Fontane, Rainer Maria Rilke, Peter Handke. Zum Amüsement trägt das bei. Ein wenig von Eduard von Keyserling, das legen die anachronistischen Zitate nahe, steckt in uns allen.

© SZ vom 13.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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