Deutsche Literatur:Früheraugen

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Anne Kanis: Nichts als ein Garten. Roman. Metrolit Verlag, Berlin 2015. 208 Seiten, 20 Euro. E-Book 15,99 Euro. (Foto: verlag)

Die Schauspielerin Anne Kanis lässt in ihrem Debütroman "Nichts als ein Garten" eine erfolglose Sängerin von ihrer Kindheit in Ost-Berlin erzählen: Eine vage Sehnsucht durchzieht das Buch - aber wonach?

Von Anna Steinbauer

Man möchte der jungen Sängerin aus Ost-Berlin die Brille, durch sie die trostlose und ach so harte Nachwende-Welt betrachtet, am liebsten herunterreißen. "Früheraugen" nennt die Ich-Erzählerin im Debütroman "Nichts als ein Garten" der Schauspielerin Anne Kanis diesen naiven Blick, mit dem sie sich an ihre Kindheit in der DDR erinnert. Eine Mischung aus Sentimentalität, Verträumtheit und unbestimmter Sehnsucht durchzieht die Seiten des Buches.

Die Sängerin, immerhin schon Mitte dreißig, kann von ihrer Kunst nicht leben; sie jobbt in einer Kantine, singt bei Firmenfeiern und muss roten Lippenstift tragen, weil ihre Agentin das so will. Beständig versichert sie, ihr liege die Kunst mehr als alles andere am Herzen, aber ihre Gedanken kreisen beständig um Geld und Sicherheit.

Und sie kann sich nicht entscheiden, ob sie lieber den erfolgreichen Galeristen will oder den "Mittwochsmann", der Altenpfleger ist und nichts vorzuweisen hat als den Schrebergarten seiner Oma. Die Protagonistin zieht sich in ihre Gedankenwelt zurück und schweift zurück in ihre Ost-Kindheit. Ihre in sanfte Worthülsen gepackten Erinnerungen hütet sie wie einen Schatz, nur vorsichtig und ausgewählt gibt sie das eine oder andere zum Besten: die Erinnerungen an ihren liebsten Kindheitsort, den Garten des Großvaters, an den Vater, den Geiger, der Konzerte auf der ganzen Welt gab, aber trotz zahlreicher Fluchtmöglichkeiten immer wieder in die DDR zurückkehrte.

Allzu nostalgisch erzählt die 1979 in Ostberlin geborene Anne Kanis vom Alltag der Kindheit ihrer Heldin, klammert jedoch dabei die Politik weitgehend aus. Einmal allerdings, als die Erzählerin zur Kur geschickt wird, erfährt sie die Disziplinierungen und Demütigungen strenger sozialistischer Gleichheitserziehung. Hier lokalisiert der Roman den Ausgangspunkt für die Hinwendung seiner Heldin zur Kunst, denn damals war das Singen für sie die einzige Möglichkeit durchzuhalten. In der Gegenwart aber droht ihr der Schrebergarten. Man möchte die zarte Sängerin schütteln und ihr sagen: Komm mal raus aus deinem Schneckenhaus, die Mauer steht schon seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr.

© SZ vom 02.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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