Deutsche Literatur:Dämonen der Avantgarde

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Helmut Kraussers Musik-Roman "Alles ist gut" ist eine wunderbare Satire auf den fortwährenden Selbstbetrug öffentlicher Kulturförderung - und zugleich ein sehr selbstironisches Spiel des Autors mit seinem Werk.

Von Ulrich Baron

Der Titel dieses Romans - und nicht nur der - ist irreführend. Kaum hat die Stadt Bottrop hier ein altehrwürdiges Opernhaus zugeschrieben bekommen, da brennt es schon wieder ab. Kurz zuvor ist dort die eine "Fidelio"-Inszenierung auf so kakofone und obszöne Weise entgleist, dass man es für den jüngsten Geniestreich musikalischen Regietheaters gehalten hatte. Kann man das gut heißen? Eben nicht. Es scheint sich um eine Art Rachefantasie eines missachteten Künstlers zu handeln, die von einem übereifrigen Dämonenpärchen realisiert worden ist: "1. Betrieb durcheinanderwirbeln. 2. Intendanten erschrecken. 3. Dramaturgen in Ruhe lassen (auf alle Fälle)", hatte deren Auftrag gelautet. Dass sie übers Ziel hinausgeschossen sind, muss man Dämonen nachsehen; zumal in einem Roman, dessen Held bisweilen so betrunken ist, dass er Brueghel und Bosch nicht unterscheiden kann.

Trotz dieses Hinweises auf die Meister der Höllenmalerei und auch mancherlei literarischer Anspielungen handelt es sich bei Helmut Kraussers "Alles ist gut" zunächst einmal um einen Musikerroman. Was bleibt einem Tonsetzer unserer Tage schon anderes übrig, als zu trinken, wenn sich kein Intendant für seine neotonalen Werke interessiert? Kraussers Held Marius Brandt hat es nicht geschafft, sich gegen die "erzreaktionäre Avantgarde von vor fünfzig Jahren" durchzusetzen. "In Deutschland pfeift man auf das Publikum. In Deutschland herrscht noch immer die erzreaktionäre Avantgarde von vor fünfzig Jahren", lautet eine der kernig-polemischen Maximen des Romans. Wer es mit zwanzig nichts in "Stipendienkarussell" geschafft habe, schaffe es mit fünfunddreißig noch viel weniger.

"Alles ist gut" ist eine wunderbare Satire auf den fortwährenden Selbstbetrug öffentlicher Kulturförderung, die bevorzugt das alimentiert, was sie für avantgardistisch hält. Dieser der französischen Militärsprache entlehnte Begriff aber setzt voraus, dass der Vorhut bald auch das Gros der Streitmacht, also der Mainstream folgt. Tut er das nicht, so entpuppt sich die vermeintliche Avantgarde als Häuflein Verirrter, das nur dank staatlicher Subventionen überlebt. Kraussers Polemik richtet sich gegen Künstler, Kritiker und Juroren, "die tonale Musik als Hochverrat an Adorno" begreifen: "Für diese Menschen existiert keine Krise der Oper, sie wurschteln einfach weiter, als gäbe es kein Morgen, in dem immer neue Generationen eines möglichen Publikums wegbrechen."

Statt da einfach mitzuwurschteln fallen dem Helden durch Verwicklungen, die weit in die Geschichte und in Kraussers Monumentalroman "Melodien" zurückreichen, ein paar kryptische Notenblätter in die Hände. Was er daraus macht, beschert nicht nur Marius Brandt Herzrasen, sondern auch dem Konzertpublikum, und das zieht fatale Wirkungen nach sich. Dabei hat die Polizei Brandt inzwischen ohnehin im Visier, weil der Dramaturg Bornstedter, der seit Jahren ein Opernprojekt Brandts auf seinem Schreibtisch hat vergammeln lassen, gewaltsam zu Tode gebracht worden ist: "Man hat ihm dem Brustkorb eingedrückt", sagt ein schlechtrasierter Kommissar zu Brandt, und weil zu diesem Zeitpunkt weder die beiden noch die Leser etwas von den Dämonen und der erdrückenden Leibesfülle des einen erfahren haben, wirkt dieser Tod ziemlich mysteriös.

Überhaupt muss man hier stets auf Überraschungen gefasst sein - als Leser wie als Protagonist. Da pflückt Kraussers Held sich den Titel einer Komposition aus der Hölderlin-Gesamtausgabe und hat damit auch den Romantitel gefunden. Auf den Satz "Alles ist gut" aber wird er später auch beim Lesen seines Lieblings Dostojewski stoßen. Naturgemäß in den "Dämonen", und so kommentiert er: "wenn das kein Wink von oben war, gibt es keine."

Wo aber ist in einem Roman oben? Trotz dämonischen Beistands kollidiert Brandt auf dem Weg dorthin mit einem Schwarzgewandeten, den er zunächst für den Leibwächter und dann für den Sekretär eines Mäzens hält, der aber behauptet, Helmut Krausser, der wahre Schöpfer der ganzen Geschichte samt Melodien, zu sein.

Selbstironisch spielt hier der Autor mit seinem eigenen Werk

Tatsächlich wird der Name Helmut Kraussers als Autor dieses Romans genannt, doch scharfsichtige Beobachter werden hier Unstimmigkeiten entdecken. Der Roman-Krausser ist ein "sehr korpulenter Mann" von hemmungsloser Arroganz, während man Helmut Krausser doch als ranken Romancier von veilchenhafter Dezenz kennt. Handelt es sich hier also um dreisten Betrug, Hochstapelei, derben Scherz, Satire, gar Kunst? Um etwas von allem: "Alles ist gut" ist ein grandioser literarischer Zerrspiegel, der das Groteske, Karnevelaske, Dämonische, Geniale, Mitreißende und Anmaßende von Kunst und Kunstbetrieb reflektiert.

Souverän spielt Helmut Krausser mit der Tradition, souverän selbstironisch auch mit seinem eigenen Werk. Wer meint, zum Verhältnis von Autor und Erzähler sei schon alles gesagt, wird hier eines besseren belehrt. Und wer im Musikbetrieb eine oder mehrere jener drei abendfüllenden, doch noch uninszenierten Opern, auf die Helmut Krausser im Nachsatz mit gewohnter Bescheidenheit hinweist, auf dem Schreibtisch liegen hat, sollte diesen "Wink von oben" nicht ausschlagen.

© SZ vom 03.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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