Deutsche Gegenwartsliteratur:Fleischmesser unterwegs

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In ihrer schmalen Erzählung "Eindeutiger Versuch einer Verführung" lotet Alissa Walser die Untiefen des gehobenen Lebens aus. Wer eine der weitgereisten Damen ist, die hier paradieren, erweist sich, "wenn die Dämmerung sich wie Seide auf ihre Haut legt".

Von Kristina Maidt-Zinke

Alissa Walser: Eindeutiger Versuch einer Verführung. Carl Hanser Verlag, München 2017. 159 Seiten, 17 Euro. E-Book 12,99 Euro (Foto: Carl Hanser Verlag)

Wer hätte darüber noch nicht gestaunt: Der Mensch hat immer weniger Zeit zum Lesen, und die Romane werden immer dicker. Andererseits wird allen Ernstes versucht, den Überraschungserfolg mancher Lyrikbände aus neuen, an Twitter geschulten Rezeptionsgewohnheiten herzuleiten. Irgendwo dazwischen liegt die Kurzprosa. Bei Verlegern wie beim Publikum hat sie es eher schwer: Ihr eskapistischer Mehrwert ist gering, die Tricks der Lyrik sind ihr versagt, und als Genre legitimiert sie sich erst durch einen Grad der Verdichtung und Zuspitzung, für den gern Robert Walser und Franz Kafka als einschüchternde Vorbilder herbeizitiert werden.

Dass man die kleine Form auch auf die leichte Schulter nehmen kann, demonstriert Alissa Walser in ihrem jüngsten Werk. "Eindeutiger Versuch einer Verführung" heißt der schmale Band mit knapp sechzig Momentaufnahmen, Szenen, Beobachtungen und Reflexionen aus dem Leben gebildeter, komfortabel situierter Frauen mittleren Alters, hinter denen, ob sie sich nun in der ersten Person äußern oder in der dritten Person agieren, meist die Verfasserin kenntlich wird. Und natürlich macht es einen gewissen Effekt, dass die Titelgeschichte, eine der kürzesten im Buch, die ihr entgegenfliegenden Erwartungen brüsk enttäuscht: Es geht darin, so abwegig wie ernüchternd, um die Vermeidung "zweideutiger Signale" beim Zahnarztbesuch und um die verblüffende Ähnlichkeit zwischen der dafür gewählten Kleidung und dem braun-beige gestreiften Leib einer Hummel, die nach einem Regenguss auf dem Asphalt liegt.

Endlich im Bioladen einkaufen dürfen, ohne auf die Preise achten zu müssen

Damit sind zugleich die Pole markiert, zwischen denen sich diese kleinen Prosa-Arrangements bewegen: Petitessen - um nicht zu sagen: Luxusprobleme - aus einem bequem abgepolsterten weiblichen Alltag treffen auf leichte bis mittelschwere Irritationen, ausgelöst etwa durch Erdbebenmeldungen, Spinnen über dem Bett, eine degenerierte Natur ("Der höchste Baum im Wald ist der Handymast"), einen New Yorker Taxifahrer, der dringend auf die Toilette muss, oder auch ganz normalen Beziehungsfrust.

Gegen das Risiko der Banalität versucht die Autorin sich mit einem Filter aus Ironie und Weltläufigkeit zu schützen, der so federleicht über den Texten liegt wie die "Decke aus Yak-Haar", unter der eine ihrer Frauenfiguren sich geborgen fühlt, "auch wenn sie sich zum Kotzen findet". Doch leider hat das edle Teil schon "Lücken", durch die ein kalter Hauch an ihren Körper dringt. Und der Filter ist, um es salopp zu sagen, auch nicht immer ganz dicht. Sonst hätte er wohl solche Preziosen abgefangen: "Sie nimmt ein Glas Sekt von einem Spiegeltablett. Sie hebt es in Augenhöhe, als prostete sie jemandem zu. Sie schaut durch den aufsteigenden Perlenvorhang in den Raum, der sich zum Werbeclip für die Eleganz einer Hotellounge weitet."

Vor diesem Hintergrund wirkt jede melancholische Anwandlung, sei es über Herbizide auf den Feldern, die Unaufhaltsamkeit des Alterns oder den Tod des Hundes, nur noch wie die Quengelei eines verwöhnten Mädchens. Wie anstrengend es doch ist, gemeinsam mit der besserwisserischen Mutter einen Salat zu mischen! Um sich abzulenken, denkt die Tochter "an frische Walnüsse und daran, dass sie ihr nie unter den nackten Fußsohlen aufbrechen werden". Traurig, fürwahr. Wer könnte nicht die unterdrückte Wut nachempfinden, mit der sie sodann das beim Markennamen genannte japanische Fleischmesser (alles vom Feinsten) aus der Schublade holt, um im "dunklen Garten" auf Kräutersuche zu gehen?

Alissa Walsers Damen sind weitgereist, belesen und "süchtig nach französischen Filmen". Eine der Ladys wird in einem Restaurant in einer asiatischen Metropole von ihrem Ex mit Bündeln von Zehntausenddollarnoten abgefunden: Nun kann sie daheim endlich "im Bioladen einkaufen, ohne auf die Preise zu schauen". Eine andere stellt sich couragiert die Schicksalsfrage "Wer bin ich?" und kommt zu dem Schluss: "Wer sie ist, entscheidet sich, wenn die Dämmerung sich wie Seide auf ihre Haut legt." So verführt man Leserinnen teurer Frauenmagazine. Aber selbst denen dämmert ja manchmal etwas.

© SZ vom 21.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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