Deutsche Gegenwartsliteratur:Die Menschheit ist ein dummes Tier

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Hannes Steins neuer Roman "Nach uns die Pinguine".

Von Christoph Haas

Hannes Stein: Nach uns die Pinguine. Ein Weltuntergangskrimi. Galiani Verlag, Berlin 2017. 208 Seiten, 19 Euro. E-Book 16,99 Euro. (Foto: N/A)

Hannes Stein hat ein Faible für Weltuntergänge. In "Der Komet" (2013), seinem Debütroman, erzählte der aus München stammende, inzwischen in New York lebende Autor von einem Europa, in dem der Erste Weltkrieg und alles ihm folgende politische Unheil nie stattgefunden haben. Tiefer Friede seit Jahrzehnten, ein kluger k. u. k. Monarch auf einem unangefochtenen Thron, Wien als kultureller Mittelpunkt der Welt - schöner könnte es nicht sein. Dann aber droht plötzlich der titelgebende Himmelskörper alles zu vernichten.

In "Der Komet" bleibt die Katastrophe in letzter Minute aus, in "Nach uns die Pinguine" ist schon am Anfang alles maximal schiefgegangen. Mehrere nuklear und chemisch ausgetragene Konflikte haben fast die gesamte Menschheit ausgelöscht. Nur auf den vor der Küste Argentiniens gelegenen, zu Großbritannien gehörigen Falklands hat sich eine Zivilisation erhalten, die ihren Namen verdient. Ausgerechnet hier aber ereignet sich eine furchtbare Untat: Ralph MacNaughtan, der Gouverneur, wird mit einer Churchill-Büste erschlagen. Die Tat ist rätselhaft, war MacNaughtan doch nicht nur, wie allgemein bekannt, wegen einer Krebserkrankung todgeweiht, sondern zudem überaus beliebt.

Die einzigen Überlebenden haben sich in mörderischen Sekten- Staaten zusammengeschlossen

Das Vorbild von "Nach uns die Pinguine" ist, trotz des postapokalyptischen Settings, die klassische englische detective novel. Schon damit, dass er den Mord in einem von innen verschlossenen Zimmer passieren lässt, greift Stein ein vertrautes Motiv auf. Die Handlung spielt zudem auf dem Land, es gibt eine Galerie farbig-biederer Nebenfiguren. Der Ich-Erzähler Joshua Feldenkrais, der sich um die Aufklärung des Falls bemüht, ist kein schneidiger Profi, sondern ein eher schüchterner Radiomoderator. Die beiden tölpelhaften Inselpolizisten sind Wiedergänger von Oliver Hardy und Stan Laurel. Einerseits gibt es hier also die leicht verschrobene Gemütlichkeit eines Hercule-Poirot- oder Miss-Marple-Romans. Andererseits ist, wie schon in "Der Komet", das Satyrspiel, das hier stattfindet, eine ironisch-melancholische Replik auf reale politische Tragödien. Als "hochkomplizierte Höllenmaschine" bezeichnet Joshua einmal die verhängnisvolle Verkettung von Ereignissen, die "gewöhnlich Geschichte genannt wird".

Im Plauderton werden nebenbei einige Grausamkeiten und Absurditäten referiert: die blutigen Zerwürfnisse zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik, zwischen den indischen Hindus und Muslimen, der bizarre, vom argentinischen Militär angezettelte Krieg um die Falklands im Jahr 1982. In der Zukunftswelt des Romans sieht es nicht viel besser aus; die einzigen anderen Überlebenden, die den Inselbewohnern bekannt sind, haben sich in zwei irrwitzigen, mörderischen Sekten-Staaten zusammengeschlossen. "Die Menschheit ist ein dummes Tier. Die Menschheit lernt nicht", stellt der Freund des Ich-Erzählers daher resignativ fest.

Aber das ist dann doch nicht das letzte Wort. In einem schwungvollen, mehrfach gestaffelten Finale schafft Stein den kühnen Sprung vom geschichtsphilosophisch finster grundierten Kriminalroman zum biblisch-erotisch aufgeladenen Spiel mit den Inselutopien der Aufklärung. Alles wird gut - und doch bleibt in der wunschtraumhaften Lösung der Konflikte die Erinnerung an deren realweltliche Virulenz bewahrt. In der letzten Szene küssen sich ein Jude und ein Muslim unter einem zu Weihnachten aufgehängten Mistelzweig liebevoll auf den Mund.

© SZ vom 10.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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