Design:Der Müll, die Stadt und das Rot

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Die Schau "Hella Jongerius & Louise Schouwenberg. Beyond the New" in Münchens Neuer Sammlung fragt, ob Entwerfern nichts besseres einfällt, als neue Produkte.

Von Laura Weissmüller

Die winzigen Stühle tanzen. Aufgespießt auf dünnen Stäbchen, drehen sie sich um ihre eigene Achse. Ein Minimodell des Zickzack-Stuhls von Gerrit Rietveld ist dabei, Chair One von Konstantin Grcic, der stapelbare Monobloc oder auch Enzo Maris Do-it-yourself-Stuhl Sedia. Es ist sozusagen ein klassisches Designballett, das da seinen Schatten an die Wand wirft und in der Bewegung ein Wort ergibt: "Possibilities", Möglichkeiten. Gefährlich sieht das nicht aus, vorwurfsvoll schon gleich gar nicht, eher spielerisch leicht, fast schon poetisch.

Nur ein paar Meter weiter fragen die Produktdesignerin Hella Jongerius und die Designtheoretikerin Louise Schouwenberg jedoch: Kann Design eine Bedrohung für die Menschheit, gar für die Welt sein? Und wird nicht der Erfolg von Design durch den Markt bestimmt? So massiv die Anklagen sind, die in den Fragen mitschwingen, so schwerelos kommen sie daher. Das Duo hat sie per Hand mit blauen Fäden auf weiße Stoffbahnen sticken lassen. Diese baumeln nun von der hohen Decke der Paternoster-Halle in der Neuen Sammlung, dem Design Museum in München.

Die Relikte der Konsumgesellschaft lagern in München in Billy-Regalen. Hella Jongerius und Louise Schouwenberg sind für ihre Arbeit „Objects and Things“ tief in das Depot der Neuen Sammlung hinabgestiegen. (Foto: Roel Van Tour)

Es ist die große Leistung dieser eher kleinen Ausstellung, eines der wichtigsten, wenn nicht sogar das gewichtigste Thema dieser Disziplin sehr leichtfüßig zu verhandeln, in Form von kinetischen Apparaten, Schattenspielen und wandschmückenden Teppichen. Farbenfroh und formschön kreisen sie um die Frage: Ist alles neu im Design, was sich neu nennt? Und wie unterscheidet sich das, was auf den Messen und in den Hochglanzmagazinen als Weltneuheit bejubelt wird, von dem, was tatsächlich innovativ ist und unseren an Produkten längst schon übersättigten Globus wirklich weiterbringt?

"Beyond the New" nennt sich denn auch die von Angelika Nollert zusammen mit Xenia Riemann-Tyroller kuratierte Ausstellung in München. Sie basiert auf einem Manifest, das Jongerius und Schouwenberg im Jahr 2015 in Mailand vorstellten. Der Ort war klug gewählt, denn jedes Frühjahr trifft sich die Designwelt auf dem Salone del Mobile, um spektakulären Neuheiten hinterherzujagen. Wenn einem Designer dann etwas wirklich Neues eingefallen ist, wird er bejubelt - ganz egal, ob es die Variante eines Klassikers ist oder etwas, was die Welt garantiert nicht braucht.

Schwerelose Anklagen: Das Künstlerinnen-Duo hat sie per Hand mit blauen Fäden auf weiße Stoffbahnen sticken lassen. Diese baumeln nun von der hohen Decke. (Foto: Roel van Tour)

"Man wird depressiv angesichts all des Neuen", sagte Hella Jongerius schon damals. Die 1963 geborene Produktdesignerin, die seit einigen Jahren in Berlin lebt und arbeitet, gilt inzwischen nicht nur als eine der kritischsten, sondern auch als eine der einflussreichsten ihrer Branche. Ihre Entwürfe sind im New Yorker MoMA genauso wie im Londoner Victoria and Albert Museum zu sehen. Sie hat die Delegiertenlounge des Hauptquartiers der Vereinte Nationen in New York gestaltet und die Kabinen der nationalen Fluggesellschaft der Niederlande KLM. Für Vitra, das Schwergewicht unter den Möbelherstellern, arbeitet sie als Art-Direktor für Farben und Materialien und bestimmt dadurch entscheidend mit, welchen Anstrich unsere Möbel tragen. "Farbpäpstin" wird sie manchmal genannt.

"Ich habe eine Stimme und ich will sie einsetzen", erklärte die Designerin ihre Motivation für das Manifest. Wachrütteln möchte sie ihre Kollegen. "Steht auf! Lasst uns diesen schönen Beruf diskutieren. Wir alle leben in einer physischen Welt. Es geht nicht um einen neuen Rasierer oder einen neuen Stuhl. Es geht um alles!" Wie das zum Beispiel funktionieren könnte, zeigen in der Ausstellung die Wandteppiche. Bei der Herstellung kombinierte Jongerius Industrie mit Handwerk, heraus kam ein dichtes, geradezu organisches Gewebe, das kein Massenprodukt mehr ist, sondern ein unperfektes Unikat.

Die Niederländerinnen sind nicht die Ersten, die die Designwelt zur Klausur bitten. Im profunden Katalog - außergewöhnlich schön gestaltet von Irma Boom -, schreibt Schouwenberg, die den Fachbereich für Contextual Design an der renommierten Design Academy in Eindhoven leitet, von der "schizophrenen Situation einer Profession, die permanent zwischen zwei Extremen oszilliert": Jedes Jahr würden Messen einen Überfluss an nutzlosen Produkten ausspucken, während Biennalen alarmierende Botschaften über den Zustand der Welt präsentieren. Die gleiche Widersprüchlichkeit finde auch, wer die Inhalte von Designermonografien mit dem vergleiche, was auf Symposien verhandelt werde. Dort höre man die Geschichte von "Höllenfeuer und Verdammung". Schouwenbergs Resümee: "Die meisten Publikationen sind entweder unerträglich leicht oder unerträglich schwer."

Das Dilemma einer Branche, die von der Gier nach Neuem lebt und dadurch Müllberge zu Wasser und zu Lande verursacht, gleichzeitig aber den Ethos vor sich herträgt, mit der eigenen Arbeit die Welt zu verbessern, erweitern die Praktikerin Jongerius und die Theoretikerin Schouwenberg nun in der Ausstellung, indem sie das Designmuseum gleich mit auf den Prüfstand stellen. Verliert eine Museumssammlung im Laufe der Zeit nicht den Bezug zur Realität? Und kann eine Präsentation im White Cube wirklich das Leben der Dinge heraufbeschwören? Tatsächlich sind das die Fragen, die Designmuseen beschäftigen sollten, um Antworten darauf zu finden, was sie heute sammeln müssen, das morgen mehr zu bieten hat als puren Zeitgeist. Und wie sie etwas ausstellen, das seinen Zweck erst durch die Benutzung bekommt. Jeder Sockel macht einen Gegenstand ja eigentlich funktionslos.

Ein fast poetisches Designballett: "Possibilities", Möglichkeiten. (Foto: Roel Van Tour)

Das Duo hat in seiner Ausstellung für diese Fragen einige einfache, aber dennoch schlüssige Bilder gefunden. Etwa indem der Paternoster mit Aufnahmen aus dem gewaltigen Depot der Münchner Sammlung bestückt wurde. Im Dauerloop der Bilder schließt sich auch der Kreis. Denn mit derselben Regelmäßigkeit, wie dort die identischen Plastikbecher, Kaffeekannen, Radiowecker und Telefonapparate erneut aufsteigen, feiert die Konsumgesellschaft das Neueste vom Neuen, sprich: eigentlich nur eine Variante des Gleichen.

Hella Jongerius & Louise Schouwenberg. Beyond the New . Die Neue Sammlung. The Design Museum, Pinakothek der Moderne, München. Bis 16. September 2018. Der Katalog kostet im Laden 40 Euro. Infos unter www.dnstdm.de

© SZ vom 24.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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