Das ist schön:Harmoniesucht

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Wie man mit Musik die Sinne am tiefsten berührt

Von Karl Forster

Jetzt also wieder Jesus als Superstar, uraufgeführt am Ende der ersten Epoche der Rockmusik am 12. Oktober 1971 in New York. Gefühlt knapp einhundert Mal ist Gottes Sohn zu den Klängen des Musical-Komponisten Andrew Lloyd Webber auch in München schon gestorben. Und nun geht's am Mittwoch im Deutschen Theater wieder los mit Pauken, Trompeten, Drums, E-Gitarren und Golgatha. Und vor allem mit Harmoniefolgen, die sich im Laufe von mehr als einem halben Jahrhundert Popgeschichte als elementare Grundlagen für Hits und Evergreens etabliert haben. Was der damals noch sehr unbekannte Komponist Webber, immerhin ausgebildet am Royal College of Music in London, gerade bei "Jesus Christ Superstar" trefflich zu nutzen wusste und ihm dann eine schier beispiellose Karriere bescherte.

Wir nehmen C-Dur, weil's am einfachsten ist. Und als musiktheoretische Vorspeise die Jesus-Christ-Superstar-Ballade "Everything's Alright", gesungen von der sehr sündigen Maria Magdalena. Die ersten Verszeilen laufen zu C-Dur, G-Dur, a-Moll, F-Dur und wieder C. In Stufen benannt also 1, 5, 6, 4, 1. Um zu kapieren, wie vertraut uns diese Akkorde sind, nehme man aus "Hair" das Lied "Frank Mills" und lege die ersten Zeilen als Folie auf die Maria-Magdalena-Noten; und siehe: genau dieselbe Folge, nur mit dem Unterschied, dass Webber von dem damals gerade erschienenen Album von Blind Faith den hier in die Rockmusik eingeführten Fünfvierteltakt übernahm.

Noch eindeutiger dann Webbers Titelsong. Welch ein Ohrwurm. Zeitlos, fröhlich, genial, dieses "Jesus Christ Superstar". Wie bei "Hey Jude", wie Einleitung und Refrain von "With A Little Help From My Friends" bei Joe Cocker. Klar, ist ja auch eine der die Sinne am tiefsten anrührenden Akkordfolgen. (1, 4), 7, 4, 1. Oder in C-Dur: (C, G), B, F, C. 7, 4, 1 geht immer. Bei "Jesus Christ" kommt dann zum Text der Baustein von (unter anderem) "After Midnight" von J. J. Cale zur Geltung, wogegen für die Verse von "With A Little Help" die Harmoniefolge mit 1, 5, 6 beginnt, einem der Bausteine von oben. Alles klar? Wenn nicht, macht nichts, jedenfalls bleibt die Frage: Besteht also die Popmusik nur aus Harmonie-Bausteinen? Wenn ja, wie kann sie da so vielfältig sein? Nun, Häuser baut man auch aus Bausteinen, und trotzdem sind sie sehr unterschiedlich Und manchmal sogar richtig schön. Wie das ganze Musical "Jesus Christ Superstar".

© SZ vom 09.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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