Das ist schön:Fleischessünde

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Der Streit zwischen Veganern und Carnivoren wird langsam lästig

Von Karl Forster

Immer wieder springt einen die Wortkombination "Vegan" und "gutes Gewissen" an. Im Netz, im Print, im Wirtshaus bei der absurden Diskussion mit dem fremden Nachbarn, weil man ein Schnitzel bestellt hat. Ist man ein schlechter Mensch, weil man Fleisch isst? Ist man ein guter Mensch, weil man den Kräutersaitling auf den Grill schmeißt anstatt eines Halsgrats? "Mit "leckeren Rezepten fürs gute Gewissen" wirbt nicht nur Brigitte für die vegane Küche. Das gute Gewissen des Veganers schwirrt durch alle Medien. Doch solche Rubriken implizieren zugleich, dass, wer das vegane Mahl verweigert, ein schlechtes Gewissen haben sollte. Und hat er es nicht, ist er ein schlechter Mensch.

An was erinnert dies? Genau: an die gut zweitausendjährige Angstpolitik der katholischen Kirche. Himmel und Hölle, Erzengel und Luzifer, lässliche Sünde, schwere Sünde, Todsünde. Also Verdammnis. Ein lebenskulturhistorischer Antagonismus zwischen Furcht und Erlösung, Strafe und Reue. Man hätte eigentlich gedacht, dieses Denken, das in seiner schlimmsten Ausprägung zur Inquisition, Folter und Tod auf dem Scheiterhaufen führte, hätte sich überlebt. Aber nein, es findet neuen Antrieb durch die Argumentationsachse: vegan, kein Tier töten, brav - Fleisch essen, Massentierhaltung, Sünde.

München wird gerade, dank seiner größtenteils gut situierten Bevölkerung, zur Hauptstadt des (recht teuren) Veganismus. Und damit auch zum Zentrum der Diskussionen rund um die absolut tierfreie Speise. Und weil es hier nicht nur um unterschiedliche Einstellungen zur Nahrungsaufnahme geht, gleitet der Diskurs zunehmend ab ins Ideologische. Wer Schnitzel isst, befürwortet industrielle Massentierquälaufzucht. Wer sich dem Veganen verschreibt, erschlägt oder köpft Grashalme. Da hilft kein Satz wie: "Ich kaufe nur Biofleisch, egal was es kostet", weil: "Live is Live" und Fleisch eben Fleisch. Ach, übrigens: Wird eine Kuh, die gekalbt hat, nicht gemolken, erkrankt sie an Euterentzündung. Man muss dann ein Breitband-Antibiotikum geben.

Weil aber der Veganer gern aus der Missionarsstellung heraus argumentiert, also extrem lustfeindlich, hat er beim Carnivoren schlechte Karten, gilt gar ob seiner Obsession als Speisenterrorist, weil sein ganzes soziales Umfeld unter dem Vegandiktat leidet. Wäre es also angesichts der zunehmenden verbalen Aufrüstung nicht an der Zeit, sich einer bairischen Lebensweisheit zu erinnern? Die heißt "Essen - und essen lassen". Und ist eigentlich recht schön.

© SZ vom 18.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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