Das ist nicht schön:Zeitlos

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Warum der Bayern-3-Stauscanner ein Illusionszerstörer ist

Von Karl Forster

Zeit ist vieles. Zum Beispiel eine Waffe. So wie aktuell in Nordkorea. Dort stellte man die Zeit um eine halbe Stunde zurück. Nicht um eine gewisse Rückständigkeit einzugestehen, sondern um die aus eigener Sicht bösen Japaner zu ärgern. Ob das funktioniert, wird sich zeigen. Zeit ist aber auch eine Kostbarkeit. Zum Beispiel, wenn man mit Amerika telefoniert und die Billigvorwahl vergessen hat. Zeit aber ist vor allem relativ, dazu muss man nicht die zugehörige Theorie Einsteins erklären können. Es reicht schon der Versuch, ein weiches Ei auf Meeresspiegel und dreitausend Meter darüber zu kochen. Was unten in etwa vier Minuten gelingt, braucht oben etwas doppelt so lang.

Zeit ist also etwas Vages in unserem Leben, und das macht die Zeit so spannend. Weil wir nicht immer wissen, was sie mit uns anstellt. Wenn der Installateur sagt, er komme um sieben, und er kommt dann gegen zehn, ist das für den Wartenden quälend lang. Wenn derselbe dann binnen fünf Minuten fertig ist und dafür 200 Euro verlangt, ist das für den Zahlenden ziemlich kurz und viel. Wenn im "Don Giovanni" der Komtur stirbt, gemeuchelt im Duell vom Bösen, dauert das ziemlich lang, ist aber dank des nun stattfindenden Bariton-Terzetts wahnsinnig schön. Stirbt dann am Ende Don Giovanni selber, geht das binnen Sekunden vonstatten (übrigens: Keiner gurgelte sich je grausiger in die Hölle als Cesare Siepi 1967 unter Josef Krips). Tod ist also nicht gleich Tod, genauso wenig wie zeitgleich auch gleichzeitig bedeutet, was im Journalismus aber häufig ignoriert wird.

Zeit ist dank der Unergründlichkeit ihrer Bedeutung ein Sehnsuchtsbegriff, insbesondere zur Ferienzeit und hier in der Kombination mit dem Stau. Es besteht eine eigenartige Beziehung zwischen den Komponenten Staulänge, Stop-and-Go-Geschwindigkeit und Autofahrer. Letzterer stürzt sich mit Lust in den Stau, um das Abenteuer des Ungewissen - wann löst er sich auf, wo löst er sich auf, warum ist er überhaupt anwesend? - in vollen Zügen zu genießen. Eine vermeintlich wunderbare Erfindung machte dieses Abenteuer, zumindest dessen zeitliche Komponente, zunichte: der Bayern-3-Stauscanner. Was andere Sender schon länger haben, hielt auch Einzug bei der "So lang der alte Peter"-Welle. Natürlich nur zum Wohle des gestauten Autofahrers. Doch zerstört die Ansage der computererrechneten Stauzeit jegliche Illusion: Darauf, dass der Stau sich plötzlich auflösen könnte, dass alle auf einmal die Ausfahrt nehmen, dass im Nachbarauto die Schöne flirtbereit ist. Aber wegen 23 Minuten Fahrzeitverlängerung lohnt sich kein Flirt. Das alles ist nicht schön.

© SZ vom 08.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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