China:Am Rand der neuen Seidenstraße

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Wolf Biermann singt am Freitag auf der Gedenkfeier für den Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo und schlägt so den Bogen über die DDR-Geschichte in die deutsche Gegenwart. (Foto: AFP)

Bei der Gedenkfeier für Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo fehlte seine Witwe.

Von Tobias Lehmkuhl

Am Zaun um die Gethsemanekirche in Berlin hängen zahlreiche Bilder von in der Türkei inhaftierten Journalisten. Flyer rufen dazu auf, unter dem Motto "Freiheit jetzt!" an einer täglichen Andacht teilzunehmen. Als am Freitagabend der 82-jährige Wolf Biermann schwungvoll die Stufen zum Eingang nahm, stand gleichwohl etwas anderes auf dem Programm, ein Gedenkgottesdienst für den ein Jahr zuvor gestorbenen Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo. Allerdings war durch die unverhoffte Ausreise der Witwe Lius, Liu Xia, drei Tage zuvor, aus dem Gedenkgottesdienst unverhofft ein Dankgottesdienst geworden.

Die Aufmerksamkeit war deshalb groß, und so stürzten sich die zahlreichen Kamerateams auf jeden Prominenten, der das Portal der Kirche durchschritt. Neben Biermann waren das vor allem die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, Altbundespräsident Joachim Gauck mit Daniela Schadt und Liao Yiwu, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels.

Liao, Liu - mit diesen Namen kann man, wie Wolf Biermann, schon mal durcheinanderkommen. Was dem typisch Biermann'schen Furor freilich keinen Abbruch tat. In bester Predigermanier sprach er davon, dass nur die frei seien, die den Mut hätten, sich zu wehren. Auch stellte er die gewagte These auf, dass Liu Xia deswegen nach Berlin habe kommen können, weil sie als Schachfigur im Handelsstreit diene. Im Grunde müsse man Donald Trump für ihre Ausreise danken. Schließlich zog er eine Parallele zwischen dem Schicksal Liu Xiaobos und dem des DDR-Kritikers Jürgen Fuchs, der ebenso wie Liu an Krebs starb, für Biermann eine Spätfolge der Haft im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen.

Liu Xia, die eigentliche Hauptfigur des Abends, war freilich nicht anwesend. Sie ließ zwar durch die Vorsitzende des in Taiwan beheimateten chinesischen PEN, Tienchi Martin-Liao, Grüße ausrichten. Weil sich ihr jüngerer Bruder aber weiterhin in China befinde, könne sie ihre Freiheit nicht ganz genießen. Ob diese Vorsichtsmaßnahme auch gesundheitliche Gründe hat - während ihres achtjährigen Hausarrests erkrankte Liu an einer Depression - sei dahingestellt. Zugegen war sie auf jeden Fall in ihren Gedichten, die Herta Müller als "Poetische Protokolle" beschrieb und auf eine Weise vortrug, dass manchem im Publikum die Tränen kamen.

Herbert Wiesner, ehemaliger Vorsitzender des deutschen PEN, dankte dem Engagement des Außenministeriums und ebenso der Bundeskanzlerin, bevor er darauf hinwies, dass auf der neuen Seidenstraße die Audis Vorfahrt hätten und Menschenrechte in aller Regel im Straßengraben landen würden. Gefährlich schlingerten hier die Metaphern. Anders in dem sehr sachlich gehaltenen Vortrag des Pulitzerpreisträgers Ian Johnson, der über den Ende des neunzehnten Jahrhunderts hingerichteten Revolutionär Tan Sitong sprach, um auf die Bedeutung hinzuweisen, die Liu Xiaobo über seinen Tod hinaus womöglich für die chinesische Gesellschaft haben wird.

Zum Abschluss des Gedenk- und Dankgottesdienstes wurde das durch Joan Baez berühmt gewordene, ursprünglich allerdings auf Jiddisch verfasste Lied "Donna Donna" dargeboten. So konnte man innerlich, über die Zeit der SED-Diktatur hinweg, einen weiteren Bogen zur deutschen Geschichte schlagen. Bis zu Lius Tod nämlich war bis dato Carl von Ossietzky der einzige Friedensnobelpreisträger, der in Haft sein Leben lassen musste.

© SZ vom 16.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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