CD:Mörderische Verwandtschaft

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Robert Louis Stevensons Hörbuch "Kidnapped" erfüllt alle Wünsche eines abenteuerhungrigen Hörers.

Von Florian Welle

Ein verwaister Junge, eine reiche Erbschaft. Ein mörderischer Onkel, eine hinterhältige Entführung. Eine gefährliche Schiffspassage, eine abenteuerliche Flucht. Schließlich: die Überführung des Bösewichts, Verzeihung, Versöhnung und ein Happy End. Robert Louis Stevensons 1886 geschriebener Roman Kidnapped erfüllt alle Wünsche abenteuerhungriger Leser. An Rasanz der Szenenwechsel kann es der von Stevenson in der Mitte des 18. Jahrhunderts angesiedelte Kampf des Waisenjungen David Balfour um sein stattliches Erbe umstandslos mit der Schatzinsel aufnehmen. Gleichwohl bleibt die Schatzinsel Stevensons makelloses Meisterstück, hinter dem Entführt zurückstecken, aber sich nicht verstecken muss.

Unter dem Titel Ein Junge wird entführt. Die Abenteuer des David Balfour wurde die Geschichte 1963 vom Norddeutschen Rundfunk für das Hörspiel adaptiert. Nun ist diese 51 Jahre alte Produktion erstmals auf CD erhältlich. Für heutige Hörer muten die Sprecherstimmen zunächst fremd an. Richard Münch etwa, eine Institution im Hörspiel der Nachkriegszeit, führt als Erzähler mit ruhiger und sonorer Stimme durch die Geschichte. Hier merkt man durchaus den pädagogischen Anspruch der von Regisseur Otto Beck betreuten Produktion. Auch Reent Reins, der später als Synchronstimme von Don Johnson und Tony Curtis bekannt wurde, ist gewöhnungsbedürftig. Als er die Rolle des David übernommen hat, stand er mit 20 Jahren am Anfang seiner Karriere. Er lässt seinen jugendlichen Helden arg unbedarft klingen. Hat man sich an die Sprecher und ihren Sprachduktus gewöhnt, fasziniert dieser Hörspielfassung in der Bearbeitung von Ruth Herrmann. Sie ist ein Beispiel dafür, mit welcher Ernsthaftigkeit und Sorgfalt damals Literatur für junge Hörer umgesetzt wurde.

Diesen traute man zu, sich über einen längeren Zeitraum konzentrieren zu können. Otto Beck lässt die Geschichte gemächlich beginnen. Er nimmt sich Zeit für ihre Exposition. Da gibt es keine laute Musik oder einen nach Aufmerksamkeit haschenden spektakulären Einstieg. Sondern der Held David und sein Schicksal werden ausführlich vorgestellt. Erst allmählich nimmt die Regie an Fahrt auf, bis die Begegnung mit dem griesgrämigen und bösartigen Onkel Ebenezer auf Gut Cramond den ersten Höhepunkt markiert - herrlich das fiese Kichern von Joseph Offenbach als Ebenezer.

Danach geht es Schlag auf Schlag, denn Ebenezer schreckt selbst vor Mord nicht zurück, um den ebenso rechtmäßigen wie lästigen Erbschaftsanwärter loszuwerden. Als der Anschlag misslingt, verfrachtet er David heimlich auf ein Schiff und verhökert ihn als Sklaven. Diese Odyssee wird vor dem Hintergrund einer dichten, stimmigen Klangatmosphäre erzählt. So wird das schauerromantische Schottland mit Uhu-Rufen und Dudelsackmelodien ebenso zum Leben erweckt, wie die raue, stürmische See, auf der der Junge hilflos und verlassen seinem Schicksal entgegenzuschippern scheint. (ab 8 Jahre)

© SZ vom 12.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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