Bonnard und sein Werk:Sinnsuche per Pinsel

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Pierre Bonnard wird oft den Impressionisten zugeordnet. Doch seine Bildschnitte waren radikal modern.

Von Sandra Danicke

Seine besten Bilder entstanden spät: Im Alter zog Pierre Bonnard von Paris ins südfranzösische Le Cannet, ganz in die Nähe seines Freundes Henri Matisse, der in Nizza lebte. Wie stets malte er auch hier, was ihn umgab: die lichtdurchflutete Landschaft, die üppigen Mimosen aus seinem Garten, seinen Heizkörper, seine Frau. Immer wieder, geradezu obsessiv, malte Bonnard Marthe im Bad, wie sie sich wäscht, frisiert, im Spiegel betrachtet. Wie sie lang ausgestreckt in der Wanne liegt, stets ein wenig entrückt, als sei sie mit sich und ihren Gedanken allein. Es sind intime, vertrauliche Bilder: Marthe, die in Wirklichkeit Maria hieß, posierte nicht. Sie tat einfach, was sie ohnehin täglich tat. Ihr dabei zuzusehen, wirkt ein wenig, als schaue man unbemerkt durch ein Schlüsselloch. Weit aufregender jedoch als die attraktive Erscheinung der nackten Frau ist das, was um sie herum geschieht, das Flackern und Pulsieren der Farben, die so lebendig erscheinen, als wollten sie aus dem Bild herausspringen.

Marthe war nicht nur Bonnards Langzeitgefährtin und spätere Ehefrau. Sie war seine Muse, sein einziges Aktmodell. Mal ist der Frauenkörper "überhaucht von fließenden Farben, Gelb, Lila, Rosaweiß, Gold und Purpur. Das Sonnenlicht brutzelt in winzigen Flammenvierecken" ( The Times). Dabei ist auf dem Bild "Frau, aus dem Bad steigend", das um 1925 entstand, auch sonst eine Menge los: Da ist die wunderlich gekrümmte Pose der Frau, die etwas auf ihrem nackten Oberschenkel zu prüfen scheint. Da sind der orientalisch gemusterte Badvorleger, der geflieste Schachbrettboden, der von hinten nach vorne aus dem Bild zu kippen scheint, die lila changierende Wand. Und weil der Blick sonst nirgends zur Ruhe kommt, landet er am Ende wieder im Badewasser, das eine abstrakte, meditativ anmutende Farbfläche bildet.

Marthe war seine Muse, Lebensgefährtin, Ehefrau und sein einziges Modell

Bonnard hat den Bereich des Figürlichen nie völlig verlassen. Aber er hat gezeigt, dass er es jederzeit hätte tun können. In seinen Bildern, vor allem den späten, geht es um die Malerei an sich. Was dargestellt ist, ist zweitrangig; vielleicht ist es sogar egal. Die flirrend über die Leinwand huschenden Farben weisen zugleich in die Vergangenheit - sie sind dem Impressionismus geschuldet - und in die Zukunft: zu einer Malerei ohne Vorwand.

In "Akt vor dem Spiegel" (1931) scheint sich der Körper der Frau regelrecht vor dem ockerfarbenen Hintergrund aufzulösen, während um sie herum die leuchtenden Töne ein Eigenleben führen: Man erkennt Obst auf einem Teller, einen Stuhl, der Rest ist ein unruhiges Flackern in Grünblau und Rotorange, Lilagrau und Goldbraun. "Das vorwiegende Thema ist die Oberfläche, die ihre Farben und ihre Gesetze hat, neben und über denen der Objekte", notierte der Künstler 1935.

Als Matisse 1905 bekannt wurde, war Bonnard (1867 - 1947) längst anerkannt. Auf Wunsch seiner Eltern hatte er an der Pariser Sorbonne zwar zunächst Rechtswissenschaften studiert. Doch bereits 1891 hatte er mit Mitstudenten an der Académie Julian eine Künstlergruppe gegründet, die sich Nabis nannte - abgeleitet von dem hebräischen Wort für "Propheten" -, stilistisch jedoch recht unterschiedlich arbeitete. Bonnards Bilder aus dieser Zeit weisen übrigens eine erstaunliche Flächigkeit auf, wie sie später für Werke von Matisse charakteristisch werden sollte. Ab wann sich die Künstler kannten, ist nicht überliefert, spätestens jedoch seit Matisse 1906 Bonnards Einzelausstellung in der Pariser Galerie Ambroise Vollard besucht hat. Es entwickelte sich eine Freundschaft, die bis zum Tod Bonnards Bestand hatte. Und das, obwohl beide künstlerisch verschiedene Wege beschritten. Zwar waren ihre Themen und Motive ähnlich: Akt, Stillleben, Landschaft. Während Matisse mit seinen kräftigen Farben und markanten Umrissen als Pionier der modernen Malerei gilt, wird Bonnard mit seinen lockeren Pinselstrichen nicht selten als Nachfolger des Impressionismus' und daher als eher traditionell eingestuft. Ein Irrtum, wie sich bei genauerer Betrachtung zeigt. Allein die Bildausschnitte sind teilweise so radikal gewählt, dass man meint, ein Foto zu sehen, für das jemand im falschen Moment auf den Auslöser gedrückt hat.

Oft dauert es eine Weile, bis man sich in den Interieurs von Bonnard zurechtfindet. So merkwürdig erscheinen die Kompositionen mit ihren seltsamen An- und Ausschnitten, dem wilden Nebeneinander irisierender Farbverläufe, den Spiegeln und Fenstern und den scheinbar so nebensächlichen Motiven. Anders als Matisse malte Bonnard nie, was er sah. Er arbeitete stets aus der Erinnerung heraus, und die Erinnerung kennt keine einleuchtenden Perspektiven. Die Stimmung in diesen Werken ist oft nachdenklich, melancholisch, zuweilen gar unheimlich. So dermaßen anders sind diese Bilder als die seines Freundes Matisse, dass man sich wundern mag, wie intensiv sich die beiden ausgetauscht und einander bewundert haben. Beide auf ihre Weise innovativ, hat der eine getan, was der andere vermied. Statt klarer Flächen, wie sie Matisse bevorzugte, bestehen Bonnards Werke aus den diffusen Farbschlieren und -flecken, die das Ergebnis einer schier endlosen Suchbewegung des Pinsels sind - eine Herangehensweise, die sich auch darin ausdrückt, dass er oft jahre- bis jahrzehntelang an seinen Bildern arbeitete und sich nur ungern von ihnen trennte. Der Betrachter muss Zeit investieren, um die Gemälde Partie für Partie zu entschlüsseln. "Bonnard lässt den Betrachter sich selbst beim Wahrnehmen wahrnehmen" schreibt Felix Krämer, Kurator der Schau, treffend im Katalog.

Der Betrachter muss Zeit investieren, um die Gemälde zu entschlüsseln

Auch in seinen Stillleben erscheinen die Objekte zusehends diffuser; sie lösen sich auf, werden eins mit der Atmosphäre, als habe Bonnard das Vergehen von Blumen und Obst malerisch vorweggenommen. Oder als sei es ihm darum gegangen, im Vergleich zu Matisse explizit die Gegenrichtung zu erkunden. Dass sich die beiden mit ihren Werken nie in die Quere kamen, lässt sich durchaus als bewusste Entscheidung, als Geste des Respekts füreinander interpretieren. Wie innig die Beziehung der beiden war, zeigte sich nach dem Tod Bonnards, als der Kritiker und Matisse-Bewunderer Christian Zervos in der Zeitschrift "Cahiers d'art" eine Art Abrechnung veröffentlichte, in der er Bonnard eine eigenständige künstlerische Vision absprach: "Die Komposition eines Werkes von Bonnard ist weder treffsicher, noch klar, weder konsistent noch präzise. [...]Die guten und gelungenen Teile stimmen nicht mit den vagen und unentschlossenen überein; sie bleiben sich auf dem Bild fremd, gerade so, als ob sie aus Zufall zusammengewürfelt worden wären." Matisse reagierte prompt. "Wie sehr ich von ihrem Anfangsbeitrag über P. Bonnard enttäuscht bin", schrieb der Künstler in einem Leserbrief an Zervos. "Ja, ich bin davon überzeugt, dass P. B. ein großer Maler ist, trotz dem, was ihm die heutige Avantgarde vorwerfen mag."

© SZ vom 13.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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