Bonaparte und Berlin:Krawall im Kopf

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Tobias Jundt, Exilschweizer und Frontmann von "Bonaparte", ist mittlerweile 36 und Familienvater. (Foto: dpa)

Bonaparte stehen für Elektro-Punk-Geballer, Schreigesang und Gaga-Parolen - und irgendwie auch für Berlin. Doch obwohl die Bandmitglieder dort groß wurden, scheint das neue Album nicht mehr von der Hauptstadt zu erzählen.

Von Annett Scheffel

Immer wieder fällt in diesen Tagen ein böses Wort, wenn von Berlin die Rede ist. Also von jener Stadt, die bis vor Kurzem noch als freiester, lässigster, geilster Ort der Welt gefeiert wurde. Das Wort lautet: Stillstand.

Man liest es in Zeitungen und Twitter-Kommentaren, wenn es um das Ergebnis des Volksentscheids gegen die geplante Bebauung des Tempelhofer Flugfeldes geht. Auf einen Schlag demoliert dieses Wort den ganzen Mythos von Berlin als utopischem Möglichkeitsraum, von dem die Stadt so lange gezehrt hat. Wohnungsbau? Ja klar, sagen die hippen Stadtbewohner - aber nicht auf diesem wundervoll anarchistischen Brachland mitten in der Stadt.

Egal wie man zu diesem Votum steht - in jedem Fall führt es auf den Slogan zurück, der in zahlreichen Berlin-Nachrufen der jüngeren Zeit zu lesen war. Vom amerikanischen Rolling Stone bis zur New York Times sind sich die Trendspürnasen nämlich sicher: Berlin is over.

Garagen-Punk-Pop und wilde Live-Performances

An dieser Stelle soll es aber nicht um Berlins zahlreiche größere und kleinere Miseren gehen, von der Gentrifizierung bis zum Clubsterben, sondern um die Band Bonaparte. Jenes Bandkollektiv um den 36-jährigen Exilschweizer Tobias Jundt also, das mit seinem opulent übersteuerten Garagen-Punk-Pop und seinen wilden Live-Performances die hedonistische Partystimmung Berlins in den letzten Jahren wie keine zweite Band zu bündeln wusste.

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In diesen Tagen, in denen lautstark der Untergang Berlins prognostiziert wird, veröffentlichen Bonaparte ihr viertes Studioalbum. Und passenderweise heißt es in einem der Songs: "I wanna do better/ In small doses". Verbesserung? Gerne. Aber bitteschön in ganz kleinen Schritten.

"Bonaparte" ist das Album schlicht betitelt, was nach Nabelschau klingt, Selbstfindung erahnen lässt, vielleicht sogar Erwachsenwerden. Es ist aber doch wieder das tanzbare Elektro-Punk-Geballer, mit dem Bonaparte seit dem Debütalbum "Too Much" 2008 über Berlins Subkultur hinaus berühmt wurden: Techno-Bums, simple Gitarrenakkorde und wunderbare Gaga-Parolen, im Schreigesang vorgetragen.

Freilich hat man das Phänomen Bonaparte nie mit der Musik allein erklären können. Die Geschichte der Band ist untrennbar mit dem Berlin der Nullerjahre verwoben - genauer: mit der Bar 25. Hier verschmolz in den Jahren bis zur Schließung 2010 Vaudeville-Freakshow und Neohippietum mit Technokultur und Easyjet-Partytourismus. Inmitten dieser irrsinnigen Partyorgien am Spreeufer entstand bei improvisierten Liveshows die Idee zum Bonaparte-Konzept.

Hier wurden die Bandmitglieder groß, hier führte Frontmann Jundt in Tierkostüm und Zirkusjäckchen der Legende nach sogar für Quentin Tarantino sein schweißtreibendes Spektakel auf. Musik für taumelnde Neoexistenzialisten in den Zwanzigern, die alle wichtigen Jugendbewegungen der Popkultur verpasst hatten und die das Loch der Entscheidungslosigkeit weniger füllen, als rauschhaft erleben wollten. Der moderne Mensch - bei Sartre noch der ewig Handelnde - wurde hier zum Dauer-Performer, der die Augenringe unter Glitzerkonfetti verbarg und drei Tage standhaft durchtanzte.

Einfallslose Gitarre, heimeliges Fiepen

Wenn es aber diesen Partynukleus an der Spree nicht mehr gibt und die Scharen der Tänzer von damals mittlerweile als hippes, neues Großstadtbürgertum die Mieten in Kreuzberg und Neukölln in die Höhe treiben - was vermag Tobias Jundt, der auf seine irrsinnige Art immer ein begabter Zeitdiagnostiker war, dann eigentlich noch zu berichten über die Städter der Gegenwart?

Zunächst einmal: gar nichts. Im Eröffnungsstück "1 - 800" erklingen zum Warmwerden erst mal nur eine einfallslose Gitarre und heimeliges Fiepen aus dem analogen Synthesizer. Zu Wort meldet sich der Schreihals Jundt erst mit "I Wanna Sue Someone", in dem es um Langeweile und eine vage Sehnsucht nach mehr geht: "I want some something/ And I want another one." Soweit zum modernen Optimierungswahn. Weiter geht es mit "Me So Selfie", einer hübschen Persiflage auf die Selbstdarstellung der Smartphone-Generation, und mit "Into The Wild", dem vielleicht zeitgeistigsten Song des Albums: "Cut a wire/ Be a bird/ Shoot the messenger", rufen Bonaparte auf.

Ein paar Kabel soll man kappen, die alten Pfade der Algorithmen, die uns transparent machen, verlassen, um wieder vogelfrei zu werden. Danach erschöpfen sich die Stücke dann in eher verschlissenen Punk-Parolen ("Out Of Controll", "Riot In My Head") und erotischem Lustgesäusel ("Wash Your Thighs").

Vielleicht, so könnte man meinen, erzählt die Band gar nicht mehr von Berlin, sondern längst von anderen Orten: Das Album hat Jundt, mittlerweile Familienvater, im New Yorker Szenebezirk Williamsburg aufgenommen. Die Videoclips dreht er in China und Texas. Und trotzdem wird man beim Hören das Gefühl nicht los, dass das Album davon handelt, wie geil und frei und gut es in Berlin vor gar nicht allzu langer Zeit einmal war. Vielleicht hallt das böse S-Wort der letzten Tage aber auch einfach nur laut in der Ohrmuschel nach.

© SZ vom 03.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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