Bilderbuchgeschichten  :Die Nüstern des Leoparden

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Illustration aus Lorenz Pauli und Kathrin Schärer: Rigo und Rosa. 28 Geschichten aus dem Zoo und dem Leben. (Foto: oh)

"Rigo und Rosa", zwei ungewöhnliche Freunde, spielen mit Wörtern und schenken sich Trost, der Zooleopard und die kleine Maus.

Von Verena Hoenig

Schnurrhaare, Krallen, Fell und Schwanz haben beide. Trotzdem könnten Rigo und Rosa unterschiedlicher nicht sein: Der Leopard Rigo ist alt, über einen halben Zentner schwer und schläft gerne. Die Maus Rosa dagegen wiegt nur 20 Gramm, ist jung, vergnügt - und ziemlich vertrauensselig. Sie macht es sich im Pelz des Leoparden bequem, ohne auch nur einen Gedanken an die Gefahr des Aufgefressenwerdens zu verschwenden. Denn Nager stehen auf dem Speiseplan dieser Raubkatze. Ohne Umschweife bittet Rosa Rigo, sie vor bösen Tieren zu beschützen. Von so viel Naivität überrumpelt und auch ein bisschen stolz, sieht der Leopard in der Maus nun nicht mehr die willkommene Zwischenmahlzeit. Mehr noch: Eine Freundschaft beginnt, die sich in 28 Zwiegesprächen aufs Zauberhafteste entfaltet. Rigo und Rosa beobachten Schmetterlinge, spielen mit Wörtern, lachen, hören einander zu. Sie schenken sich Trost oder philosophieren über die Langeweile und über Geburtstage. Alles, was Rigo und Rosa erleben, macht die Welt für beide bunter.

Und das muss man im Bild einfach gesehen haben: Wie Rosa sich andächtig an die Nüstern des Leoparden lehnt, um den "Schnuk" zu bewundern, ihr unsichtbares Geschenk für Rigo. Oder wie sie das gekringelte Ende seines Schwanzes als gemütliche Schlafstätte nutzt. Und wie viel Wohlbehagen in der Szene liegt, als Rigo Rosa sauber schleckt. Die bewährte Zusammenarbeit zwischen Lorenz Pauli und Kathrin Schärer hat über das "Ideen-Austausch-Ping-Pong", wie Schärer es nennt, ein weiteres Mal zu einem großartigen Ergebnis geführt. Dabei habe die Künstlerin "jeden einzelnen Fellhaar-Strich genossen!" Die ausdrucksvollen Bildmotive stehen auf weißem Grund, was ihre Wirkung noch erhöht.

Rosa mit ihren großen Knopfaugen und Ohren turnt immerzu herum. Zwischendurch krakelt sie mit ihrem zweifarbigen Buntstift, der auch mal zum Zauberstab wird, kleine Zeichnungen. Im Kontrast zur kindlichen Ausgelassenheit der Maus steht die abgeklärte, von den Jahren leicht desillusionierte Großkatze. Dennoch blitzt ab und zu ihre Gefährlichkeit auf, so dass der Betrachter vor Schreck unwillkürlich die Luft anhält. Das Zusammenspiel der Freunde wärmt das Herz, wie es auch Rigo wärmt, wenn Rosa ihm mitten in der Nacht einen Sonnenaufgang schildert. Manchmal wird Rigo melancholisch. Schließlich ist er eine Zoogeburt und lebt im Gehege, während Rosa jederzeit hinaus kann.

Das Buch im schmalen Hochformat eignet sich zum Immer-Wieder-Vorlesen, weil seine Geschichten das Potenzial haben, sich eigenständig weiterzuentwickeln, sozusagen Generatoren für Gedankenflüge sind. Denn der "Fantasie-Gärtner", wie Lorenz Pauli sich selbst nennt, hat eine klare Vorstellung von dem, was er bei Kindern erreichen möchte: "Ich will ihr Lachen. Ich will ihre Emotionen. Und ich will zum Nachdenken anregen. Ich bin aber kein Apostel."

Rigo hat es wirklich gegeben. Er lebte von 1993 bis 2010 im Berner Tierpark und war ein persischer Leopard, von denen weltweit nur noch zwischen 200 und 300 Tiere existieren. (ab 5 Jahre)

Lorenz Pauli und Kathrin Schärer : Rigo und Rosa. 28 Geschichten aus dem Zoo und dem Leben. Atlantis 2016. 128 Seiten, 16,95 Euro.

© SZ vom 24.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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