Arktis und Antarktis:Zug der weißen Särge

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Was für düstere Schönheit: Die vielfach ausgezeichnete Fotografin Camille Seaman beschwört in ihrer beeindruckenden Bildersammlung das "Ende der Ewigkeit" in den Eisregionen.

Von Birgit Lutz

Sensoren seien die Bilder von Camille Seaman, schreibt die Biologin Elizabeth Sawin im Vorwort zu Seamans Buch "Vom Ende der Ewigkeit" (Prestel, München 2015, 160 Seiten, 75 Abb., 29,95 Euro). Sensoren, die den Menschen etwas anzeigen, eine große Veränderung auf der Welt - in diesem Fall das Dahinschmelzen der Polkappen. Des Eises also, das lange den Beinamen "ewig" trug, weil es so groß und mächtig war, dass es für immer zu dem Bild gehörte, das sich der Mensch vom Globus gemacht hatte: oben Eis, unten Eis.

Seit einigen Jahren aber wird die Aura des Infiniten im Zusammenhang mit dem arktischen und antarktischen Eis immer seltener beschworen, stattdessen heißt es nun: bedroht, verschwindend, schmelzend. Und nun schreibt dieses Buch in seinem Titel das Ende dieser Ewigkeit drastisch fest: Ewig hält in den Eisregionen nichts mehr, ewig, das war einmal und ist vorbei.

Die vielfach ausgezeichnete Fotografin Camille Seaman hat eine beeindruckende Bildersammlung von Schneelandschaften und Eisbergen vorgelegt, die im Betrachter genau jene Melancholie verursachen, die schon der Entdecker Julius Payer im Jahr 1873 beschrieb: eine Melancholie, wie sie nur knisternd dahinschmelzende Eisberge verströmen können, die wie eine Reihe weißer Särge ihrem Grab in der südlichen Sonne entgegenziehen. Zehn Jahre lang war Seaman auf Expeditionskreuzfahrtschiffen als Bordfotografin unterwegs, im europäischen Sommer in der Arktis, im Winter in der Antarktis; man merkt ihren Bildern an, dass sie in einem langen Zeitraum entstanden sein müssen, denn die so dramatischen Lichtverhältnisse bekommt man in dieser Menge schwerlich bei einer kurzen Stippvisite geboten.

Die Motive sind also beeindruckend, und immer wieder findet Seaman eine besondere Perspektive auf das große Schöne, das vor ihr liegt. Man hätte sich aber gewünscht, dass sie die Möglichkeiten, die sich ihr im Lauf der Jahre boten, noch öfter anders genutzt hätte. Für den Laien sind Seamans Bilder bezaubernd, der Eis-Kenner aber sieht, dass sämtliche Bilder schlicht vom Schiff oder während der kurzen Landgänge an den allseits bekannten Touristen-Landungsstellen gemacht wurden - Überraschungen gibt es in diesem Bilderreigen nur sehr wenige.

Dennoch sind Bücher wie das vorliegende wichtig. Wie Elizabeth Sawin in ihrem Vorwort weiter ausführt, brauche die Gesellschaft solche Sensoren: damit die Akteure in Sachen Klimawandel zu handeln beginnen. Und damit es vielleicht doch noch was wird mit der Ewigkeit.

© SZ vom 21.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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