Biennale-Kurator:Welt ohne Unschuld

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Okwui Enwezor will bei der internationalen Schau in Venedig die Künstler reden lassen. Auch Karl Marx kommt dort zu Ehren.

Von Thomas Steinfeld

Im zentralen Pavillon der Biennale von Venedig wird, von diesem Samstag an, mehr als sechs Monate lang das "Kapital" von Karl Marx vorgelesen werden, von morgens bis abends, von professionellen Schauspielern, alle drei Bände. Man kann sich über diesen Auftritt wundern, weil das Vorgelesen-Bekommen zwar eine Teilhabe an einem intellektuellen Gegenstand suggeriert, diese Teilhabe aber gestisch bleiben muss: Eine intellektuelle Auseinandersetzung ginge anders. Vermutlich aber ist diese Aktion anders gemeint: als Mahnung, man werde weder das Geschehen auf der Biennale noch den Lauf der Welt verstehen, ohne dieses Buch zu kennen - und als Verweis darauf, dass die Kunst zwar eine Geste, eine Szene oder ein Bild liefern könne, nicht aber eine Theorie. Dann wäre die öffentliche Lesung Teil einer weit ausholenden Bewegung, die einmal über die zeitgenössische Kunst hinweggeht, um an ihren interessantesten Momenten zu demonstrieren, dass gerade diese über die Kunst hinauszeigen. Und ja, doch, Okwui Enwezor dachte sich die Aktion wohl in diesem Sinne.

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