Berliner Theatertreffen:Die Nebel des Genervtseins

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Kessel Halbgares in Berlin: Das Theatertreffen wird mehr und mehr zum Allround-Festival mit "Multimedia-Konzerten" , "partizipativen Durationals" und "performativen Warm-Ups".

Von Mounia Meiborg

Das Programmheft ist ein Programmbuch. 136 Seiten hat es und stellt vor Herausforderungen: Soll er eine "Multimediale-Konzert-Installation" besuchen oder ein "Research-Lecture-Concert (Work-In-Progress)"? Ein "partizipatives Durational" oder eine "Give and Take-Performance"? Ein "performatives Warm-Up" oder eine "tanzbare visuelle Installation"?

Man kann sich über die Wortschöpfungen lustig machen. Man kann aber auch versuchen, das Ganze ernst zu nehmen. Dann lassen sich die Anglizismen etwa so übersetzen: Das Berliner Theatertreffen will neue Wege gehen. Das ist ja erst einmal nicht schlecht. Erfunden wurde das Festival 1964 als eine Art kulturelle Luftbrücke. 25 Jahre lang diente es dem Westberliner Publikum als Schaufenster in den Rest der Republik. Nach der Wende wurde es dann zur Besten-Schau.

Aber die Prioritäten verschieben sich. Zwar gibt es immer noch die zehn bemerkenswertesten Inszenierungen, die eine Jury von sieben Kritikern auswählt. Aber daneben ranken sich so viele Performances, Gastspiele und Konferenzen, dass das, was bis vor Kurzem Rahmenprogramm war, nun fast zur Hauptsache wird - zumal in diesem Jahr zwei der zehn ausgewählten Inszenierungen wegen Krankheit und aus technischen Gründen nicht gezeigt werden konnten.

Im Dschungel der Programmpunkte verlieren die Veranstalter selber den Überblick. Auf der Homepage der Berliner Festspiele wird zum Beispiel das Game-Event "Being Faust - Enter Mephisto" im Goethe-Institut angekündigt. Ausgerüstet mit einer großartigen Smartphone-App geht man einen teuflischen Pakt ein, sammelt Glückspunkte und wird von einem Moderator zur Selbstoptimierung angetrieben. Am Ende erhält der Spieler, der die meisten Freunde verkauft hat, einen Preis als "power seller". Man freut sich, dass Immersion - das Eintauchen in eine andere Realität - hier endlich mal funktioniert. Und erfährt hinterher, dass die Veranstaltung gar nicht Teil des Theatertreffens war, sondern nur "mitkommuniziert" wurde.

Erstmals gab es in diesem Jahr ein Festival im Festival, das sich "Shifting Perspectives" nennt. Auch der Stückemarkt, die Plattform zur Autorenförderung, wurde in "Shifting Perspectives" eingegliedert. Dazu gab es internationale Produktionen, die Konferenz "The art of democracy" und theaterferne Filme wie "Raving Iran" oder das türkische Endzeitdrama "Abluka".

Für Thomas Oberender, den Leiter der Berliner Festspiele, ist dieses Prinzip der Überforderung reizvoll, wie er zur Eröffnung sagte. Das Theatertreffen wolle nicht nur zehn Hauptspeisen anbieten. Stattdessen solle sich jeder Zuschauer sein eigenes Menü zusammenstellen. Am Ende blieb allerdings viel Halbgares.

Ärgerlicher Höhepunkt war die Performance "Explorer / Prometheus unbound" der beiden niederländischen Gruppen "Urland" und "Crew". Die Bewegungen zweier verkabelter Performer werden mittels Motion Tracking aufgezeichnet und in eine Videoprojektion übersetzt. Mit einigem Stolz führen die Performer eine Technik vor, die es im Film seit Jahrzehnten gibt. Zusätzlich müssen sich die Zuschauer mit einer banalen Story, fragwürdigen Geschlechterrollen und einem Bedeutung simulierenden Text rumschlagen.

Ein bisschen Immersion, eine Zirkus-Show mit schwuler Erotik, eine deutsch-südafrikanische Tanzproduktion: Das Programm wirkt planlos. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Geldgeber, die hier "Kooperationspartner" heißen, sich als Kuratoren betätigen. Das Goethe-Institut darf Werbung für seinen Koproduktionsfonds machen. Und die Bundeszentrale für politische Bildung stellt klar, wie sie dramatisches Schreiben findet: politisch bitte schön.

Mit dem angekündigten "Shift" der Perspektive tun sich einige Beteiligte noch schwer

In der Ausschreibung des Stückemarkts, der in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung stattfand, wurde nach "Möglichkeiten des Schreibens in der radikalen Ungewissheit der Realität" gesucht. Bei der Eröffnung sprach Milena Mushak von der Bundeszentrale davon, wie wichtig politische und gesellschaftskritische Inhalte im Theater seien. Dass diese politischen Inhalte vom Innenministerium, dem die Bundeszentrale für politische Bildung untersteht, ans Theater herangetragen werden, verursacht allerdings Unbehagen. Ebenso wie die Tatsache, dass der Stückemarkt, eine der wenigen Förderstätten für deutschsprachige Dramatik, sich auf eine solche inhaltliche Beschränkung einlässt.

Eingeladen war zum Beispiel der fade, völlig bühnenuntaugliche Essay der tschechischen Autorin Petra Hůlová über ein Volk in der Identitätskrise. Der Preis, ein mit 7 000 Euro dotierter Werkauftrag, ging verdientermaßen an den jungen Berliner Autor Bonn Park. Seine schräge Zukunftsvision "Das Knurren der Milchstraße" hat die literarische Eigenständigkeit, die man bei anderen Autoren vermisste, und wird nur hin und wieder etwas didaktisch.

Mit dem angekündigten "Shift" der Perspektive tun sich einige Beteiligte noch schwer. Beim Research-Lecture-Concert "EPA Turned into Music" erklärt ein deutscher Musiker kenianische Politik, sein kenianischer Kollege steht stumm daneben. Immerhin: Die Zeiten, in denen die einzig Nicht-Weißen im Haus der Berliner Festspiele die Geflüchteten auf der Bühne waren, sind vorbei. Noch nie war das Publikum beim Theatertreffen so international und so jung. Wenn man sieht, mit welchem Ernst japanische Theatermacher mit syrischen Performern über die Zukunft diskutieren - in der Installation "Feature leaks" - kann das optimistisch stimmen.

Und die "bemerkenswerten" Arbeiten? Es war ein mittelprächtiger Jahrgang. Mit starken Formen, wie bei Herbert Fritschs akrobatischer Abschiedsarie "Pfusch" von der Berliner Volksbühne und Ersan Mondtags und Olga Bachs "Die Vernichtung" aus Bern, einer faszinierenden Erzählung über Narzissmus, Überdruss und andere Erste-Welt-Probleme.

Kay Voges' Gesamtkunstwerk "Die Borderline Prozession" bescherte starke Bilder und den schönsten Theaterohrwurm ( Tuxedomoons "In a Manner of Speaking"), blieb aber inhaltlich dünn. Claudia Bauer machte aus Peter Richters Roman "89/90" eine beeindruckende Wende-Oper. Starkes Schauspielertheater gab es bei Simon Stones Gegenwartsdiagnose, die sich lose an Tschechows "Drei Schwestern" orientiert. Michael Wächter erhielt für seine Rolle des betrogenen Ehemanns Theodor in dem Stück denn auch den mit 5 000 Euro dotierten Alfred-Kerr-Darstellerpreis. Dass die Jury sich bemüht hat, kleinere Häuser einzuladen, ist lobenswert. Allerdings sind die ausgewählten Produktionen fragwürdig. "Real Magic" von Forced Entertainment zelebriert die Wiederholung einer Szene, um vom leerlaufenden Kapitalismus zu erzählen. Die Erfahrung des Genervtseins ist wenig erkenntnisreich. Und Thom Luz' "Traurige Zauberer" aus Mainz erstickt am eigenen Kunstanspruch. An diesem Abend hebt gar nichts ab. Bis auf den Nebel, der aufsteigt und etwas unschlüssig in der Luft hängen bleibt - wie das ganze Festival.

© SZ vom 22.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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