Berliner Siedlung als Weltkultur:Lebens-Würdigkeit

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Wenn der soziale Wohnungsbau zur Weltkultur wird: Warum es so wichtig ist, dass die Unesco die Berliner "Sparsiedlungen" in die Liste des Weltkulturerbes aufnimmt.

Gerhard Matzig

Es gibt eine Zeichnung von Le Corbusier, die den Anspruch der Moderne illustriert, die Welt zu verbessern.

Gehört jetzt offiziell zum Unesco-Welterbe: die Siedlung Gartenstadt Falkenberg des Architekten Bruno Taut im Bezirk Treptow-Koepenick von Berlin. (Foto: Foto: AP)

Auf dieser Skizze ist eine Hinterhofsituation zu sehen. Die Häuser, dicht zusammengerückt, sind versehen mit Gauben, Sprossenfenstern und Tordurchfahrten. Ein Altstadt-Idyll - könnte man meinen. Daneben aber erheben sich inmitten einer Parklandschaft riesenhafte Wohnscheiben. Ein Moderne-Grauen - könnte man meinen.

Aber anders, als dies heute in den Zeiten des New Urbanism und seiner Sehnsucht nach dem malerischen Städtebau eines Camillo Sitte zu vermuten wäre, war es die Moderne, die von humaner Gesinnung zeugte. Denn sie ist es, die das Licht durch die Wohnungen fluten lässt - während die Altstadt ein Dasein im Schatten fristet. Dunkel, feucht und beklemmend eng.

"Le Soleil et l'Ombre . . ." ist die Zeichnung betitelt: die Sonne und der Schatten. Die Sonne der Moderne sollte die Welt von menschenunwürdigen Lebensverhältnissen befreien: Damals war das Idyll ein Schattenreich.

Das Anliegen, gute, also helle und warme Wohnungen auch für die Ärmsten zu errichten, lebt in so mancher satter Westgesellschaft, die kaum noch von tatsächlich unwürdigen Wohnhöhlen weiß, als Zumutung fort. Als Zumutung einer Moderne, die zum Formalismus erstarrte - und in ästhetischer Hinsicht vieles, zu vieles schuldig blieb.

Aber die berechtigte Moderne-Kritik ist mancherorts zum aggressiven Lärm angeschwollen, der die Verdienste der Moderne verdeckt. Auch deshalb ist die aktuelle Unesco-Entscheidung so wichtig.

Ein Lob der Moderne

Die Berliner Wohnsiedlungen, denen jetzt der erhoffte Status "Weltkulturerbe", also Respekt zuerkannt wurde, verhelfen einer in Misskredit geratenen Moderne gerade dort zu ihrem Recht, wo es nicht um Sehenswürdigkeiten, sondern um Lebens-Würdigkeiten geht: beim Wohnen.

Sechs Berliner Ensembles, erbaut zwischen 1913 und 1934, wurden in die Liste aufgenommen: die Neuköllner Hufeisensiedlung (Architekten: Bruno Taut, Martin Wagner, Leberecht Migge, Ottokar Wagler), die Weiße Stadt in Reinickendorf (Otto Rudolf Salvisberg, Bruno Ahrends, Wilhelm Büning), die Siedlung Schillerpark in Mitte (Taut, Hans Hoffmann, Walter Rossow), die Gartenstadt Falkenberg (Taut, Heinrich Tessenow, Ludwig Lesser), die Charlottenburger Ring-Siedlung Siemensstadt (u.a.: Walter Gropius, Hans Scharoun) und schließlich die Wohnstadt Carl Legien in Pankow - erbaut von Franz Hillinger und, einmal mehr, Taut.

Gerade für ihn, der sich von den Nazis als "Kulturbolschewist" beschimpfen und bis in die Türkei vertreiben lassen musste (wo er 1938 gestorben ist), bedeutet die Ehrung auch Wiedergutmachung.

Tauts Gestaltkraft zeigt sich in vielen Projekten. Besonders zeichenhaft lassen sich seine Grundsätze, in denen sich Architektur, Städtebau, Freiraumplanung und ein zutiefst soziologisches Interesse verbinden, aber an der Hufeisensiedlung ablesen.

Dieses Ensemble war eine der ersten "Großsiedlungen". 3100 Menschen bot sie einen funktional gestalteten Platz - der aber dennoch nicht auf eine markante stadträumliche Figur verzichtete.

Wohnraum in Hufeisenform

Das 29 Hektar große Areal bebaute er mit 1963 Wohneinheiten, wobei er für die 472 Einfamilienhäuser nur zwei Haustypen verwendete. Diese gehen strahlenförmig von einer wie ein Hufeisen um einen Teich herum gelegten Wohnbebauung ab.

Was aber monoton wirken könnte, ist tatsächlich das rhythmisch und topographisch angenehm miteinander verzahnte Bezugssystem von Achsen und Plätzen, Materialien und Farben. Die ältere Idee der Gartenstadt wurde so mit dem neuen, durch die Wohnungsnot heraufbeschworenen Konzept der rationalen Großsiedlung versöhnt.

Wer sich heute für den Kauf einer der absurd teuren Loft-Residenz-Bleiben der ertüchtigten Innenstädte interessiert, kann vor Neid erblassen: wegen der angenehmen und klugen Grundrisse solcher und anderer Spar-Siedlungen, von denen die heutigen Luxus-Bauträger nur lernen können.

© SZ vom 9.7.2008/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Unesco
:Berliner Siedlungen gehören zum Welterbe

Sechs Berliner Wohnsiedlungen aus der Epoche der Moderne hat die Unesco neu in ihre Welterbeliste aufgenommen.

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