Bauhaus:Ein lebensgroßer Baukasten

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In Dessau schufen Architekten wie Walter Gropius und seine Kollegen Wohnsiedlungen und Gewerbebauten, die mustergültig modernen Anforderungen entsprechen sollten.

Von Laura Weißmüller

Es hat sich ausgeweimart, meine Herren, wir gehen jetzt dessauern!" Diese Worte stammen von dem Maler Lyonel Feininger, aber sie beschreiben gut die Vorfreude auch der anderen Bauhaus-Meister und ihrer Schüler auf den neuen Standort der bedeutendsten Schule für Architektur, Gestaltung und Kunst, die dieses Land je hatte. Denn Dessau galt als Silicon Valley des 20. Jahrhunderts: Agfa und Lufthansa wurden hier gegründet, die Junkers-Werke tüftelten an neuen Flugzeugtypen. Anders als das etwas abgelegene Weimar war Dessau bestens mit den wichtigsten Metropolen Deutschlands verbunden. Mit dem Flugzeug waren es 25 Minuten nach Leipzig, es gab gute Zugverbindungen nach Berlin und Frankfurt. Dessau lockte den damaligen Bauhaus-Direktor Walter Gropius nicht nur mit einem großzügigen Grundstück für die Schule, sondern auch mit dem Versprechen, dass das Bauhaus hier weitere Häuser bauen durfte. Die Stadt hielt Wort und so entstand in Windeseile ein "Baukasten im Großen", wie Gropius das nannte. Was man bis heute dort besichtigen kann, zeigt eine faszinierende Typologie des modernen Bauens.

Bauhausgebäude

Nach den Entwürfen von Walter Gropius wurde diese Ikone "eines modernen Zweckbaus" 1925/1926 gebaut. Auf der ganzen Welt ist die Ansicht der vorgehängten Glasfassade mit dem gestürzten Schriftzug der Schule berühmt. Gropius war der Ansicht, dass "gesunde gut belichtete Arbeitsplätze die Leistung steigern". Wer das Bauhausgebäude jemals im Sommer besucht hat, weiß zwar, dass die Absicht stärker war als die Umsetzung, aber das Ideal war da. Der rechtwinklige Bau besteht aus mehreren Gebäudetrakten, darunter einem Werkstattflügel, einer gewerblichen Berufsschule, einem Ateliergebäude, dem Zwischenbau mit Mensa, Aula und Bühne und auch einem der ersten Studentenwohnheime Deutschlands (sogar mit warmem Wasser). In einigen der rekonstruierten Zimmer können Besucher heute übernachten und dabei auch auf den markanten Balkonen die Aussicht über ganz Dessau genießen.

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(Foto: Yvonne Tenschert/Stiftung Bauhaus Dessau)

Großzügige Doppelhausvillen im Grünen, das waren die Meisterhäuser. Abgebildet ist das Haus, in dem Wassily Kandinsky und Paul Klee lebten.

Weitaus kleiner, dafür für jeden erschwinglich, waren die Reihenhäuser der Siedlung Törten.

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(Foto: Yvonne Tenschert/Stiftung Bauhaus Dessau)

Kleine, aber gut geschnittene Wohnungen finden sich in den Laubenganghäusern.

Erholung für alle gab es schließlich im Ausflugslokal Kornhaus.

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(Foto: Tadashi Okochi/Stiftung Bauhaus Dessau)

Der Prototyp eines modernen Zweckbaus sollte das von Walter Gropius entworfene Bauhausgebäude sein. Viel Licht am Arbeitsplatz sollte die Leistung steigern.

Meisterhaussiedlung

Parallel zum Bauhausgebäude entstanden zur selben Zeit - ebenfalls nach den Entwürfen von Gropius - ein Direktorenhaus und drei Doppelhäuser. Im Krieg wurden die Villa und die eine Hälfte der Meisterhäuser durch Bomben zerstört. Letztere hat man rekonstruiert, die Direktorenvilla jedoch zeitgenössisch interpretiert wieder aufgebaut. Heute befindet sich dort mit Ticketschalter, Toilette und Shop die Infrastruktur, die jedes moderne Museum braucht. Ursprünglich wollte Gropius mit den Häusern aber seine Vision vom Wohnen im 20. Jahrhundert manifestieren. In gewisser Weise waren es also häusergroße Schaufenster, die moderne Haushaltsführung bis zum Wischmopp vorführten. Gab sich die Direktorenvilla großbürgerlich mit Hausmeisterwohnung, Weinkeller und Autogarage (alle anderen hatten nur Fahrradstellplätze), sahen sich die Doppelhaushälften zum Verwechseln ähnlich - von außen. Denn sobald die Meister einzogen, Muche neben Schlemmer, Kandinsky neben Klee und Moholy-Nagy neben Feininger, dauerte es nicht lang, bis die Künstlerpersönlichkeit sich auch im Inneren der Häuser niederschlug.

Siedlung Törten

In der Neubausiedlung Törten sah Gropius ein Testfeld für das moderne Bauen. Wie auf dem Fließband sollten hier die Häuser entstehen, dank neuer Technik, Baustoffe und Maschinen. Das kostengünstige Haus für jeden, unter der Prämisse Licht, Luft und Sonne, war das Ziel. Zwischen 1926 und 1928 entstanden so 314 Reihenhäuser mit 57 bis 75 Quadratmetern Wohnfläche. So modern der Anspruch, so stark orientierte sich der Architekt aber immer noch an den Idealen der Gartenstadt. Jedes Häuschen hatte einen außergewöhnlich großen Nutzgarten und vielfach die Möglichkeit zur Kleintierhaltung.

Laubenganghäuser

Der Folgeauftrag für die südliche Erweiterung des Geländes ging nicht an Gropius, sondern an seinen Nachfolger Hannes Meyer. Zwischen 1929 und 1930 entstanden hier fünf Laubenganghäuser. Die Gebäude heben sich mit ihren roten Ziegeln und den hellgelben Betonstützen nicht nur farblich von Gropius' weißer Moderne ab, sondern sie waren auch die einzigen, die in der Bauabteilung des Bauhauses entworfen wurden, alle anderen stammten aus dem Büro Gropius. Obwohl die Wohnungen kleiner waren - 48 Quadratmeter für vier Personen, eine Monatsmiete von 37,50 Reichsmark - wirkten sie größer, dank einer besseren Lichtführung in den Räumen und eines effizienten Grundrisses. Und auch, weil Meyer alles auslagerte, was in der Wohnung nicht nötig war. So hatte jedes Appartement noch 15 Quadratmeter Keller, 30 Quadratmeter Garten, es gab eine Fahrradgarage, einen Sommer- wie einen Winterwaschplatz und einen Spielplatz. Die Erschließung durch Laubengänge sollte den Kontakt unter den Bewohnern fördern. Bis heute sind die toll geschnittenen Wohnungen bei Dessauern beliebt.

Kornhaus

Das Ausflugslokal ist weitgehend in Originalsubstanz erhalten. Es wurde von Carl Flieger 1929/1930 erbaut und liegt als einziges Bauhausgebäude direkt am Elbdeich. Der zweigeschossige Quader mit dem halbrunden Wintergarten und einem wunderschönen Blick aufs Wasser steht in gewisser Weise am nördlichsten Punkt Dessaus. Der einzige Bau, der vom Krieg verschont wurde, bekam seinen Namen von seinem Vorgänger. Vorher befand sich auf dem Grundstück ein Kornspeicher. Der Architekt Carl Flieger hatte den Wettbewerb vor Bauhaus-Direktor Hannes Meyer und der Bauabteilung des Bauhauses gewonnen. Flieger arbeitete bei Gropius im Büro, trotzdem gewährt er seinem Entwurf etwas mehr Freiheiten. Durch den runden Schwung ähnelt der Bau einem Dampfer auf großer Fahrt. Und mit türkisfarbenen Fensterrahmen und roten Lampenfassungen darf es auch etwas bunter zugehen, schließlich sind wir hier am Wasser.

© SZ vom 07.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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