Axel Springer: Neue Datenbank:Geröllhaufen der Geschichte

Lesezeit: 3 min

Der Springer-Verlag stellt 5900 Artikel aus den Jahren 1966 bis 1968 ins Netz. Ein Datenungeheuer, in jeder Hinsicht.

Willi Winkler

Unter der "Datensatznummer 1820" ist endlich auch im faksimilierten Original nachzulesen, wie widerwärtig Journalismus sein kann: "Man darf über das, was zur Zeit geschieht, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Und man darf auch nicht die ganze Dreckarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen. Schlafen unsere Richter? Schlafen unsere Politiker? Wie lange wollen sie noch zulassen, dass unsere jungen Leute von roten Agitatoren aufgehetzt, dass unsere Gesetze in Frage gestellt, unterwandert und missachtet werden?" In der Zeitschrift Kursbuch charakterisierte der Schriftsteller Reinhard Lettau das bereits 1966 mit "Journalismus als Menschenjagd". Es heißt also Dreckarbeit und nicht Drecksarbeit, wie es sogar die "redaktionell gepflegte Inhaltsangabe" im medienarchiv68.de falsch zitiert.

"Nach bestem Wissen vollständig": Vorstandschef Mathias Döpfner über das Springer-Angebot im Netz. (Foto: Foto: ddp)

Unter dieser Adresse finden sich seit Sonntag rund 5900 Artikel aus den Springer-Zeitungen Bild, Bild am Sonntag, Welt, Welt am Sonntag, Hamburger Abendblatt, Berliner Morgenpost und B.Z. sowie, als Fremdmedien, dem Tagesspiegel und dem 1972 eingegangenen Telegraf. Die ungeheure Datenmasse stammt aus den 25 Monaten zwischen Dezember 1966 und Ende 1968 und deckt damit die erregteste Phase jener Kulturrevolution ab, die zum Feindbild 1968 zusammengeschnurrt ist.

Die Datenbank, "nach unserem besten Wissen vollständig", wie von Springers Vorstandsvorsitzendem Mathias Döpfner versprochen wird, dient als Ersatz für einen Kongress, den der Verlag im vergangenen Jahr veranstalten wollte. Ausgesuchte Gegner von damals sollten dabei mittun dürfen, wollten aber nicht.

In einem "Editorial" sieht Döpfner, Jahrgang 1963, das Archiv als "Einladung (...) herauszufinden, wie es damals wirklich war". Natürlich ist es schön, wenn Springer das Material "ausdrücklich" auch der "Generation danach" für Recherchen anbietet. Doch sind Recherchen eigentlich überflüssig, denn das Ergebnis steht bereits fest: "Die These, das Haus Axel Springer sei eine zentral gelenkte Meinungsmaschine gewesen, welche die Studentenbewegung verhindern wollte, bestätigt sich jedenfalls nicht."

Schweine und Ferkel

Das ist erfreulich, allerdings hatte bisher niemand behauptet, dass Springers Meinungsmaschine zentral gelenkt gewesen sei. Seine Zeitungen beschränkten sich nicht auf die Studentenbewegung, sondern gaben sich auch alle Mühe, den Volkszorn gegen sie zu mobilisieren. Sollte sich die "Generation danach" jedoch fragen, warum Axel Springer 1968 als Berater die ehemaligen SS-Leute Horst Mahnke und Paul Karl Schmidt beschäftigte, wird sie keine Antwort erhalten. Vielleicht liegt das auch daran, dass die beiden mittlerweile als IM Klostermann (Mahnke) und IM Schaper (Schmidt) beim Bundesnachrichtendienst volldemokratisiert waren. Wer auch noch anderes als Springer-Erzeugnisse gelesen hat und mehr kennt als die Kampfbegriffe "SED-Propaganda" und "Stasi-Desinformation", sollte wissen, dass der Verlag durch seinen erbitterten Widerstand nicht wenig zum Erstarken der Studentenbewegung beigetragen hat.

Da es sich bei den reproduzierten Artikeln um Bilddaten handelt, sind sie leider nur über ihre Überschriften und in einer redaktionellen Zusammenfassung zu recherchieren und bleiben ein schwer zugänglicher Geröllhaufen. Darin steht viel über langhaarige, unrasierte Studenten, es sind auch halbwegs vernünftige Sätze dabei wie der Tadel am Freispruch für den neuerdings als Stasi-IM entlarvten Todesschützen Karl-Heinz Kurras. Aber natürlich wird man nichts darüber finden, dass der gleiche Kurras seinen Schießvereins-Kameraden, den B.Z.-Reporter Wolfgang Schöne, nach der Tötung Benno Ohnesorgs bat, überschüssige Munition zu verballern, wie Schöne selbst erzählt hat.

Trotz vielfacher Versuche ist in diesem Archiv nichts über Wolfgang Kieling zu finden. Gut, der gehörte nicht zur Studentenbewegung, aber er gehört zu 1968. Denn der damals bekannte Schauspieler - in Hitchcocks Film "Der zerrissene Vorhang" ist er ein Stasi-Killer - gab am 11.Januar 1968 seine im Vorjahr von der Springer-Zeitschrift Hörzu verliehene Goldene Kamera zurück, um sich nicht länger dem Verdacht auszusetzen, "dass ich mich als Besitzer dieses Preises in irgendeiner Weise mit der Politik der Springer-Zeitungen identifiziere". Kieling bezeichnete die Springer-Presse als "terroristische Meinungsmaschine" und ward fortan von derselben boykottiert.

Klischees, da hat Döpfner schon Recht, bestimmen bis heute die Berichterstattung über sein Haus. Das Klischee etwa, dass die Springer-Presse 1968 besonders schlimm gewesen sei. Voilà: Für Besucher der Leipziger Messe, die es wagten, dem Springer-Boykott der DDR nicht Folge zu leisten, fand Bild bereits 1962 Koseworte wie "Vaterlandsverräter" und "Schwein". Dass Tiervergleiche für politische Gegner zur Springer-Grundausstattung gehören, bewies der Bild-Veteran Hans-Hermann Tiedje erst wieder 2009, als er Kurras als "Stasi-Ferkel" bezeichnete.

© SZ vom 18.01.2010/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: