Auszeichnung:Der Dramatiker

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Schon wieder keine Frau: Der Dirigent Christoph Eschenbach erhält den Siemens-Musikpreis. Keine Frage, er hat ihn verdient.

Von Wolfgang Schreiber

"Ein Star ganz ohne Allüren, ein Mann der leisen Töne, ein stiller Star", schreibt Altkanzler Helmut Schmidt in seine Gratulation für den befreundeten Dirigenten und Pianisten Christoph Eschenbach. Der 75 Jahre alte Künstler hat am Montag den Ernst-von-Siemens-Musikpreis erhalten. Der Preis ist eine generöse, mit 250 000 Euro dotierte, in München ansässige Einrichtung. Vergeben werden zusätzlich drei stattliche Komponistenpreise für jüngere Tonkünstler, die Siemens-Musikstiftung fördert zudem mit drei Millionen Euro 130 unterschiedliche Musikprojekte.

Bei der Preisverleihung im Münchner Herkulessaal bewies Eschenbach seine glückliche Hand: Er wollte die ungleich recht entworfenen und gelungenen Orchesterstücke der Preisträger Mark Barden, Birke J. Bertelsmeier und Christian Mason selbst dirigieren. Die Bamberger Symphoniker spielten die skizzenhaften Musiken unter Eschenbachs Leitung genauso angespannt und engagiert wie am Ende Bartóks Konzert für Orchester.

Der Siemens-Musikpreis kann auch irritieren: In vierzig Jahren bekam ihn, kaum zu glauben, nur einmal eine Frau - 2008 die Geigerin Anne-Sophie Mutter. Gibt es keine Musikerin, die für diesen Preis, der oft als Nobelpreis der Musik angekündigt wird, in Betracht kommt? Wer würde sagen, dass dieses Format etwa Cecilia Bartoli und Sofia Gubaidulina, Martha Argerich, Adriana Hölszky und Kaija Saariaho fehlt? Schon dass eine Maria Callas die Auszeichnung nicht erhielt, klingt heute wie eine Provokation. Das alles schmälert nicht den Preis für Christoph Eschenbach.

"Die Herausforderung ist mein Signum." So sieht sich Eschenbach selbst, er meint wohl: Herausforderung durch die Musik, an die eigene Person, ans Publikum. Von seinen Anfängen an. Dass er als Mozart-Pianist früh Aufsehen erregte, dass er später als Dirigent mehr als nur achtbare Chefpositionen einnahm - in Paris, Zürich und Hamburg, in Houston, Philadelphia und Washington - , das alles zählt für ihn im Rückblick womöglich weniger als der starke Ansporn, den er jungen Musikern und lebenden Komponisten geben konnte. Er habe ja die Pianistenkarriere auch deshalb aufgegeben, weil er "gern mit Menschen Musik machen" wollte.

All die Ämter und Arbeiten Eschenbachs haben mit dem Bewusstsein von einer schlimmen Herkunft und Kindheit zu tun, das führte Peter Ruzicka in seiner Laudatio auf den Preisträger aus. Vom Weltkrieg und der Elternlosigkeit geprägt, als Flüchtling der Kriegskatastrophe und den Krankheiten mühsam entronnen, stürzte sich der junge Mann einzig in die Musik, und sie rettete sein Leben. Die ganze Karriere - mehr eisern erkämpft als spektakulär erstürmt.

Wie ehrlich, innengesteuert, ja existenziell Christoph Eschenbach Musik versteht und sie auswendig dirigiert, dafür war am Ende Béla Bartóks dramatisches, von grellen bis grotesken Impulsen, Motiven und Figuren durchzogenes großes spätes Konzert für Orchester von 1943 das beste Beispiel. Jedenfalls die traumhaft richtige Stückwahl: Bartók, der Flüchtling im New Yorker Exil, krank, in finanzieller Not, komponierte zwei Jahre vor seinem Tod eine Musik des Verlangens, der Tränen, des Aufruhrs. Der Mittelsatz, eine tief angelegte Elegie, von Eschenbach ausdrucksgetrieben dirigiert, kann bis heute erschüttern.

Kein Wunder, dass das Münchner Ritual der Musikpreisverleihung, das seit je als quirliges Treffen des deutschen Musikbetriebs, Abteilung Klassik, inszeniert wird, diesmal ruhiger, sozusagen künstlerischer ausfiel. Sogar die Reden waren von mehr Bescheidung gekennzeichnet. Und Christoph Eschenbach dankte mit einem tapferen sozialen Bekenntnis: Die Musik bedeute ihm, "aus dem Gefängnis des Selbst ausbrechen".

© SZ vom 02.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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