Ausstellung in Berlin:Kommune Kunst

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Das Museum Hamburger Bahnhof erinnert an das Black Mountain College. Dort lebten Künstler wie im Paradies - und erfanden die Avantgarde neu.

Von Catrin Lorch

Vom Erfolg dieser Kunstschule zu erzählen, ist ganz einfach: Vorne hängt ein Quadrat von Josef Albers (Lehrer), hinten Gemälde von Cy Twombly und Robert Rauschenberg (Schüler), fertig ist die Kunstgeschichte. Denn das Black Mountain College, dem der Hamburger Bahnhof in Berlin gerade eine Ausstellung widmet, gilt vor allem hierzulande als Bindeglied zwischen dem deutschen Bauhaus und der amerikanischen Avantgarde. Während Walter Gropius in Harvard wirkte und Laszlo Moholy-Nagy in Chicago das New Bauhaus gründete, reiste Albers in die amerikanische Provinz North Carolinas und hatte die Abstraktion im Gepäck.

Aber die Geschichte, wie sie in Berlin erzählt wird, handelt nicht vom Triumph des Lehrplans - sondern vom Lernen. Von einer Utopie, die man offensichtlich dort vergessen hat, wo Bildungspolitik vor allem von Lernzielen gekennzeichnet ist. Schon der Gründung dieser einflussreichsten Kunstschule der Vereinigten Staaten, die von 1933 bis 1957 bestand, ging Kritik an Bürokratie voraus. Der Altphilologe John Andrew Rice musste wegen seiner Ausfälle gegen das Bildungssystem das Rollins College in Winter Park, Florida, verlassen. Wobei ihm acht Lehrer und zwanzig Studenten folgten. Die sich - der günstigen Miete wegen - ein Kolonialgebäude in der Provinz von North Carolina mieteten, in Black Mountain.

Beeinflusst von den Maximen John Deweys ("Learning by Doing") und Sokrates' Dialog zwischen Lehrern und Schülern, war das Ziel eine ganzheitliche Erziehung. Zufällig wies der Architekt Philip Johnson die Schulgründer darauf hin, dass die Nationalsozialisten das Bauhaus geschlossen hatten und Josef Albers eine Stelle im Ausland suchte, weil seine Frau aus einer jüdischen Familie stammte. Die Einladung war folgenreich: Albers vermittelte auch Xanti Schawinsky, den Leiter der Bauhausbühne, und Verbindungen zu anderen Exilanten. Bald lehrte Fritz Moellenhoff am Lake Eden Psychoanalyse und Deutsch. Und Max Dehn, ein Mathematiker und Freund Einsteins, wurde als Dozent für Griechisch und Philosophie geführt.

"Unser erstes Anliegen ist nicht, Künstler zu produzieren, wir verstehen unsere grundlegende Kunsterziehung hauptsächlich als allgemeines Ausbildungsinstrument für alle Studenten", schrieb Josef Albers. Kunst war Teil des Lehrplans, aber es ging nie um die Herstellung von Kunstwerken: Die Ausstellung und der Katalog präsentieren vor allem Bücher, Fotografien, Tanzvideos mit Merce Cunningham und Archivmaterial. Der Geist dieser Schule, die keine Stundenpläne vorgab, wo sich niemand für Fächer entscheiden musste und Noten abgeschafft waren, wird vor allem in den Berichten der Alumnis spürbar: "Sie haben bei niemandem studiert", erinnert sich eine Kommilitonin an ihre später so berühmten Malerfreunde Cy Twombly und Robert Rauschenberg. Und John Cage, für Kompositionslehre verpflichtet, fand die gemeinsamen Mahlzeiten wichtig: "Niemand studierte bei mir. Aber dreimal am Tag saß ich an einem Tisch und es gab Konversation. Diese Essen waren die Klassen. Und es kamen Ideen dabei heraus." Dafür ließ sich Cage von seinem Kollegen Max Dehn in die Mykologie, die Pilzkunde, einweisen, der auch die Zeit fand, die zahlenbegabte Studentin Dorothea Rockburn jeden Morgen für zwei Stunden zum Spaziergang abzuholen. In der Hoffnung, die Malerin doch noch als Schülerin zu gewinnen oder ihren Gemälden wenigstens Grundlagen der Geometrie und Astronomie zu implantieren.

Die Fotografien des College-Lebens könnten auch in einem Kibbutz oder einer sehr frühen Landkommune entstanden sein: Studenten auf Traktoren und Lastwagen. Beim Lesen auf der weiten, hölzernen Terrasse. Im Schlamm einer Baugrube und beim Holzfällen. Lehrkörper und Lernende waren Selbstversorger, die sogar das modernistische Lehrgebäude auf dem Farmgelände am Lake Eden Anfang der Vierzigerjahre selbst errichtet hatten. Wer sich mit amerikanischer Romantik auskennt, wird sich an den Aussteiger-Klassiker "Walden" erinnert fühlen.

Doch die malerische Weite war nicht unberührt. Die idealistischen Studenten, die im Sommercamp dafür zahlten, als Bauarbeiter Teil eines humanistischen Bildungsexperiments zu sein, waren im offiziell rassistischen Süden der USA gelandet. Aber während Segregation in North Carolina noch im Kleinstadt-Bus durchgesetzt wurde, arbeiteten Paul Radin und Adolphus Miller am Black Mountain an Studien über Rassendiskriminierung und Minderheiten. Unbemerkt von der Öffentlichkeit sollte das College Ende der Vierzigerjahre schwarze Studenten aufnehmen - zwanzig Jahre bevor in Missouri die Gleichberechtigung durchgesetzt wurde.

"Jeder Mensch ist potenziell ein bisschen ein Künstler."

Der Geist der Schule bewährte sich auch, als die Gründer und Josef Albers das College Ende der Vierzigerjahre verließen: Es formierte sich unter der Leitung von Charles Olson, einem Wissenschaftler und Literaten, neu, der für die sokratischen Ideale nur ein freundliches "the gab-gab-gab" übrig hatte. Olson verpflichtete Natasha Goldowski, die als Physikerin am Manhattan-Project mitgewirkt hatte, dem Geheimprojekt zur Erfindung der Atombombe. Was das College mit ungeheuerlichen Gedanken kurz schloss: "Die Einführung von Hochleistungscomputern in die Gesellschaft", schrieb sie während ihrer Zeit dort, "wird mit Sicherheit unser Leben modifizieren, alle Bereich der Gesellschaft durchdringen, vor allem die Erziehung." Bis dahin blieben die Versuche von Buckminster Fuller sichtbarste Visionen einer wissenschaftlich fundierten Moderne. Fullers Airstream-Wohnwagen, in dem sein ambulantes Laboratorium untergebracht war, parkte während der Sommerkurse regelmäßig vor dem College, wo er Studenten animierte, ihm bei der Errichtung seiner aus Vorhanglamellen zusammen genieteten Kuppeln zu assistieren.

Dem Hamburger Bahnhof ist nun mehr gelungen als ein Rückblick aus der Siegerperspektive der Museumssammlungen und des Kunstmarkts auf den Ort, an dem Twombly, Rauschenberg und Co ihre Inspiration erfuhren. Die Schau ist eine seltene Gelegenheit, sich heute, in Zeiten ökonomisierter Bildungsprogramme, an eine sehr ferne Vergangenheit zu erinnern. Als Lehren noch nicht von Misstrauen geprägt war, sondern von Zuversicht. Und der Reformpädagoge John Andrew Rice einem zufällig angereisten Journalisten von Harper's Weekly einen der Schlüsselsätze des Zwanzigsten Jahrhunderts in den Block diktiert, halbfertig: "Jeder Mensch ist potenziell ein bisschen ein Künstler."

© SZ vom 06.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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