Ausstellung:Zupfen, knüpfen, knoten

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Farbe und Textur: "La Femme principale bluma" von Sheila Hicks. (Foto: Christian Kain)

Die wunderbare Textilkunst der Amerikanerin Sheila Hicks im Espace

Von Evelyn Vogel, München

Eine farbig leuchtende, wollige, sanft auftretende Tatze oder doch ein Regenbogen aus Farbe, der sich auf den Boden ergießt? Wer sich der riesigen Installation "Atterrissage" gegenüber sieht, kann dessen "Landung" assoziativ nachvollziehen. Sheila Hicks hat die Farbexplosion aus Pigmenten und Acryl, die sie je nach Raumgröße variieren kann, im Espace bis auf eine Höhe von annähernd fünf Metern eingerichtet. Sie benutzt keine Fäden, die gefärbt sind, sondern reine Farbpigmente, die mit Hilfe von Acryl zu Fasern verarbeitet wurden. Diese zupft, dreht, knüpft und knotet, spinnt, spannt, webt und wickelt sie dann zu organischen Gebilden oder - krasser Gegensatz - in streng geometrische Rahmen hinein. Was daraus entsteht, sind vielfältige changierende Werke, die in keine Schublade zu passen scheinen - irgendwo zwischen Textilkunst und kunstvoll in Bildformaten oder im Raum installierter Textilität.

Farbe, Textur und Struktur sind die bestimmenden Momente in dem Werk der inzwischen 81 Jahre alten Künstlerin, die mit ihrem ergrauten Kurzhaarschnitt und den leuchtenden Augen deutlich jünger und deren distinguiertes Auftreten eher wie das einer Sammlerin wirkt. Sie ist aber vor allem eine nimmermüde Reisende, das zeigt die beeindruckende Liste ihrer Ausstellungstätigkeit. Das Espace hat Sheila Hicks nun die erste monografische Werkschau in Deutschland ausgerichtet. Dass Sheila Hicks neben der präkolumbianischen und indigenen Textilkunst und der Architektur auch sehr von der Malerei beeinflusst ist, beweisen ihre gemalten Entwürfe für die Sydney Biennale 2016. Aber auch andere Werke, die an die Farbfeldmalerei eines Mark Rothko erinnern, oder die flachen Reliefs, die durch die unterschiedlichen Laufstrukturen Farbspiele mit großer Strahlkraft entwickeln, zeigen, dass Hicks neben der Materialität ungemein farborientiert denkt.

Neben der Farbe ist die ausgeprägte Textilität wichtig. Eine besondere Arbeit in dieser Reihe ist das erst jüngst entstandene Flachrelief "Araucario" bei dem Hicks die Zweige eines Araukarienbaumes in gedrehten Leinen- und Baumwollseile bettet. Sie wirken wie weiche Schutzhüllen für die stacheligen Dinger, die dadurch wie wertvolle Objekte anmuten. Die Zweige der Pflanze, die vor allem in Südamerika heimisch ist und die Hicks aus jenen Jahren kennt, die sie in Mexiko verbracht hat, hat sie nach einem Sturm im botanischen Teil des Bois de Boulogne in Paris gefunden. Paris ist seit den später Sechzigerjahren die Heimat der amerikanischen Künstlerin, die von dem Bauhauslehrer und -künstler Josef Albers beeinflusst wurde, bei dem sie in den Fünfzigerjahren in Yale studierte. Aus jener Zeit stammt auch ihr Interesse für Architektur. Und viele ihrer Arbeiten entstehen zielgerichtet mit und für bestimmte Architekturen oder sind an ihnen orientiert.

Materialeinträge tauchen immer wieder auf, so auch in den "Minimes", handgewebten kleinen Miniaturen, die sie seit Jahrzehnten auf einem kleinen transportablen Webrahmen webt, den sie angeblich überall hin mit sich führt. Auch in der skulpturalen Installation "Trésors et Secrets", die sich in einer Wandnische befindet - auch hier wieder die bewusste Interaktion mit dem Raum - stecken Dinge. Materialien, die federleicht oder kiloschwer sein können, aber gleichwertig in den kissenförmigen Gebilden verborgen sind, ohne ihr Geheimnis preiszugeben. Denn anfassen oder anheben kann man sie nicht. Wie keine der Arbeiten - obwohl man die Haptik so gerne fühlen würde. Aber die Kunst von Sheila Hicks spielt eben auf hohem Niveau mit der Materialität. Sie bedient sie nicht einfach wie ein kunsthandwerklicher Gegenstand.

Sheila Hicks: Predestined Colour Waves, Espace Louis Vuitton, Maximilianstr. 2a, bis 23. Januar, Mo-Fr 12-19 Uhr, Sa 10-18 Uhr

© SZ vom 16.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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